Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Mittwoch, April 20, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel I

29 n. Hal - 10. Tag im Monat des Phex

Liselle öffnete die Augen und rieb sich erst einmal ausgiebig den Schlaf daraus, streckte sich und gähnte herzhaft. Durch das geöffnete Fenster flutete Sonnenschein, es schien schon recht spät zu sein. Sie hatte eindeutig zu wenig geschlafen, die Nacht war lang gewesen. Sehr lang und wieder einmal sehr amüsant, immerhin war es ihr ziemlich schwergefallen sich leise wieder ins Haus zu schleichen ohne jemanden zu wecken.
„Das nächste Mal keinen Alkohol mehr“, dachte sie bei sich. „Oder wenigstens weniger.“
Sie schwang die Beine über die Bettkante, fischte mit den Füßen nach ihren Pantoffeln, schlüpfte in bequeme Kleidung und huschte nach unten in den Speisesaal zum Frühstück. Während sie hungrig das von Maria liebevoll angerichtete Mahl in sich hineinschlang, fiel ihr Blick immer wieder aus dem Fenster.
„Nein, es ist doch eigentlich viel zu sonnig draußen um den ganzen Tag über staubigen und alten Büchern zu hocken,“ sagte sie sich.
Als die Magd kam, um das Geschirr wieder in die Küche zu bringen, fragte sie höflich, ob man wisse, wo ihr Vater sei.
„Mylady, Euer Vater ist für heute unterwegs,“ antwortete diese, während sie das Geschirr auf ein Tablett lud.
„Wann wird er denn zurück erwartet?“ hakte Liselle nach, innerlich frohlockend.
„Erst sehr spät am Abend, Ihr wisst ja, der Ball,“ erwiderte die Magd. „Wünscht Ihr noch etwas, Mylady?“
„Nein danke, ich bin ganz und vollends gesättigt dank Maria,“ lachte Liselle, sprang auf und rannte die Treppe hoch in ihr Zimmer.
„Das wird ein schöner Tag draußen heute, die staubigen Bücher laufen mir nicht weg,“ sagte sie zu ihrem Spiegelbild. „Nicht wahr, dass würdest Du doch auch sagen oder nicht?“ Natürlich gab der Spiegel keine Antwort und Liselle grinste frech während sie noch einmal den Sitz ihrer Straßenkleidung überprüfte. Ihre Beine steckten in gut gearbeiteten Hosen, die eng anlagen und trotzdem volle Beweglichkeit garantierten, aus feiner Wolle. Sie knöpfte ihre weite, weinrote Bluse zu und öffnete ihren Schuhschrank. Aus der hintersten Ecke holte sie ihre Stiefel aus schwarzem, weichem Leder hervor und schlüpfte hinein. Die Stiefel hatten eine extrem gut gearbeitete Sohle, mit denen man sich fast lautlos fortbewegen konnte, und gingen ihr bis zu den Knien.
So gekleidet ging sie die Treppe hinunter und da ihre Eltern mittlerweile nur noch mit dem Ball, der in sieben Tagen stattfinden sollte, beschäftigt waren, sah sie auch niemand. Normalerweise turnte sie in dieser Kleidung nicht unbedingt durch das Haus, schließlich wäre ihr Vater nicht sehr begeistert gewesen sie so zu sehen. Im Schuppen an der Gartenmauer holte sie ihren Umhang aus feiner und dichtgewebter Wolle aus seinem Versteck, ebenso ihren Federhut, den sie sich keck ein wenig schief aufs Haupt setzte. Ihre hüftlangen goldblonden Haare hatte sie zu einem festen Zopf geflochten. Sich noch einmal umschauend verließ sie dann das Gelände des elterlichen Stadtpalais durch die Pforte in der Gartenmauer.

Ihr Weg führte sie auf den Marktplatz. Sie ließ ihren Blick schweifen, besah sich, wer dort war, wen sie vielleicht kannte (oder vielleicht auch aus dem Weg gehen sollte) und schlenderte von einem Stand zum nächsten, ohne wirklich etwas kaufen zu wollen. Bis ihr Blick plötzlich an einer gutaussehenden, jungen Dame hängenblieb, die ganz offensichtlich nicht aus Gareth zu sein schien. Ihrer Kleidung nach zu urteilen war sie gehobenen Standes oder einfach nur reich. Da das junge Mädchen ungefähr in ihrem Alter zu sein schien und ihr etwas interessantes anhaftete, blieb sie ihr auf den Fersen. In respektvollem Abstand natürlich, um nicht von ihr bemerkt zu werden. Gelernt ist gelernt.

Während sie ihr so über den Markt folgte, kam ihr zum Glück niemand bekanntes entgegen, der ihrem Vater hätte erzählen können, dass sie nicht, wie vermutet, beim Unterricht war, sondern sich stattdessen auf dem Markt herum trieb. Das fremde Mädchen hatte wohl Gefallen an einem Kleid gefunden und amüsiert beobachtete Liselle, wie sie versuchte, den Händler um den Finger zu wickeln, um den Preis zu drücken. Obwohl sie darin sehr professionell wirkte, hatte sie keinen Erfolg. Der Händler war wohl eher hübschen Knaben zugeneigt und so verließ sie den Stand, ohne etwas gekauft zu haben. Die Art und Weise, wie sich das Mädchen dem Händler näherte in dem Versuch, ihn um den Finger zu wickeln, erinnerte Liselle an Hesindiane, eine der Freundinnen, die man seinem Vater besser nicht vorstellen würde.

Auch bei einem Zwergenhändler, der Schmuck an seinem Stand verkaufte, half der Fremden ihr Charme nicht weiter. Liselle beobachtete amüsiert diese Szenen und überlegte, ob sie die Fremde nicht einfach ansprechen sollte. Als das Mädchen seine Schritte von dem Stand weglenkte, beschloss Liselle, es zu versuchen - trotz des großen Zornbrechters, welcher der Fremden auf Schritt und Tritt folgte.
„Schönen guten Tag, junge Dame,“ rief sie also und ging auf das Mädchen zu. Der Hund blieb erstaunlicherweise sehr ruhig und fing nicht einmal an zu knurren.
„Auch Euch einen schönen Tag,“ entgegnete die Fremde.
„Mein Name ist Velvet,“ stellte sich Liselle vor. Sie benutzte diesen Namen, wenn sie nicht direkt mit Ihrer Abstammung um sich werfen wollte oder sie sich in Kreisen bewegte, in denen ihr wahrer Name eher Schloß und Riegel waren als das er ihr Türen öffnen würden.
„Ich heiße Zoe Derp,“ verriet die Fremde ihren Namen.
„Ihr seid nicht aus Gareth,“ und Liselles Tonfall verriet, dass dies keine Frage, sondern mehr eine Feststellung war.
„Nein, ich bin aus Punin,“ erklärte Zoe.
„Oha. Was führt Euch denn in unsere schöne Stadt?“ fragte Liselle keck.
„Ich bin geschäftlich hier,“ sagte Zoe und ihr Ausdruck verriet, dass sie die Art ihrer Geschäfte nicht näher erläutern würde. Liselle gefiel die Fremde, etwas an ihr war ihr sehr sympathisch und so fragte sie spontan, ob Zoe nicht Lust hätte sie zum Mittagessen bei Ihr zu begleiten. Zu ihrer Freude sagte diese ebenso spontan zu.

Liselle hatte die Angewohnheit, den schnellsten Weg einzuschlagen, wenn sie irgendwohin unterwegs war. Der schnellste Weg verlief also auch nicht immer über die Hauptstraßen, sondern führte schon einmal durch Gassen, welche die meisten Menschen ihres Standes wahrscheinlich seltener zu Gesicht bekamen. Als die beiden Mädchen gerade um die Ecke bogen, schoß eine über zwei Meter große, männliche Gestalt auf sie zu. Zoe konnte gerade noch ausweichen und tauchte unter dem Arm dieses Kerls hinweg. Ihrer Geistesgegenwart hatte sie es zu verdanken, dass der Kerl sie nicht umgerannt hatte.
„Habt ihr keine Augen im Kopf?“ rief Zoe dem Kerl empört hinterher.
Dieser murmelte irgendetwas, was Liselle nicht ganz verstand.
„Hallo, Du Trampel! Wie wäre es, wenn du dich bei der Dame entschuldigst ! Immerhin hast du sie fast über den Haufen gerannt!“ Liselle war ebenso empört über das Betragen, so behandelte man eine Dame nicht. Das sie nicht immer wie eine aussah, tat ihrer Meinung der Überzeugung, flegelhaftes Verhalten nicht dulden zu müssen, keinen Abbruch.
„Warum sollte ich mich entschuldigen?“ fragte der Kerl, was Liselle nun wirklich dreist fand.
„Weil sich das so gehört!“ fauchte Liselle zurück.
Natürlich konnte es nicht anders kommen, es entspann sich ein Wortgefecht. Bis es Liselle zu bunt wurde. Ein Tag im Kerker würde diesen Tölpel Manieren lehren befand sie und rief laut nach der Garde. Statt sich aus dem Staub zu machen, stand der Tölpel auch noch seelenruhig dort, bis die Wache eintraf.
„Gott, der meint doch allen Ernstes, die Wache würde ihm recht geben. Das kann doch nicht sein Ernst sein,“ dachte sich Liselle. Anscheinend war es sein Ernst.
„Wir werden erst einmal die Namen aufnehmen und dann werden wir weiter sehen,“ sagte der Gardist, nachdem beide Seiten wild durcheinander den Vorfall geschildert hatten.
„Fait Leingod,“ sagte der flegelhafte große Kerl.
„Zoe Derp,“ stellte sich Liselles Begleitung vor. Danach lag der Blick des Gardisten fragend auf Liselle. Diese schaute dem Gardisten fest in die Augen.
„Liselle von Oltenburg,“ erwiderte sie auf die stille Frage des Gardisten, sehr wohl wissend um die Macht dieses Namens.
„Oh,“ machte dieser und ließ den Kerl abführen. Liselle gab ihm noch Grüße an Hauptmann Brin Wuxfell mit auf den Weg, einem Freund von ihr, der in der Stadtgarde diente.

Der weitere Weg verlief ohne häßliche Zwischenfälle. Als die beiden Mädchen am prächtigen Stadtpalais von Liselles Familie ankamen, beobachtete Liselle ihre Begleitung verstohlen von der Seite. Diese ließ sich jedoch keinerlei offensichtliche Reaktion auf diese Zurschaustellung von Macht und Geld anmerken, offensichtlich war sie es gewohnt. Die beiden Mädchen betraten die große Eingangshalle und Liselle rief nach James, dem persönlichen Diener ihres Vaters und erkundigte sich, wann man ihren Vater erwartete.
"Erst sehr spät am Abend," informierte sie James in seiner knappen und sachlichen Art.
"Sehr gut. Was gibt es zum Mittagessen?" fragte Liselle.
"Nun ja, da die Köchin miteingeplant ist auf dem Ball und ich nicht sagen kann, wie lange das dauern wird, wird sie heute wohl nicht dazu kommen Mittagessen aufzutischen," sagte James.
"Hmm," machte Liselle.
"Ich kann gerne ein paar Kleinigkeiten zubereiten für die Damen. Wünscht Ihr etwas besonderes?" bot James an.
Liselle blickte zu Zoe und bat sie, James ihre Wünsche mitzuteilen.
"Ein Glas Wein wäre jetzt genau richtig," teilte Zoe James mit.
"Roten oder weißen?"
"Einen lieblichen Roten bitte," orderte Zoe souverän.
"Und Ihr, Mylady?" wandte sich James an Liselle.
"Bereitet mir bitte einen kräftigen Tee zu. Es ist noch zu früh für mich für Alkohol, ich hatte gestern Abend genug. Und bereitet etwas leichtes zu. Wir werden in der Bibliothek essen," teilte sie James ihre Wünsche mit, der bei ihren Worten ganz leicht zwinkerte. Das Hauspersonal, das zum überwiegenden Teil schon seit Jahren in den Diensten ihrer Familie stand, war durchaus vertraut mit ihren Eskapaden. Sie war nicht nur das Nesthäkchen der Familie, sondern auch der Liebling des Personals.

Die beiden Mädchen machten es sich in der Bibliothek gemütlich. Liselle ließ sich in den weichen und gemütlichen Ledersessel sinken, schaute Zoe an und fragte sie ganz direkt, welche Geschäfte sie denn nach Gareth führen würden.
"Nun ja, darüber möchte ich keine Auskunft geben," erwiderte Zoe fest.
"Ich habe Euch auf dem Markt eine Weile beobachtet und ich glaube zu wissen, welcher Art Eure Geschäfte sind," lächelte Liselle zurück und zwinkerte.
Zoe lächelte verlegen zurück, die beiden Mädchen verstanden sich auf Anhieb. Die Tatsache, daß Liselle ihr zuerst nicht ihren wahren Namen genannt hatte, sprach ebenfalls Bände. Hinter Liselle schien mehr zu stecken als nur die jüngste Tochter eines reichen Barons.

Als James die gewünschten Getränke, Sandwiches und kleine Küchlein servierte, trug sie ihm auf, doch bitte ein Zimmer für ihren Gast zurecht machen zu lassen.
"Das ist bereits geschehen, Mylady," erwiderte James.
"Ach James, du bist wirklich unbezahlbar," strahlte Liselle ihn an und James lächelte.
"Ich hoffe, es macht Euch nichts aus, daß ich über Euren Kopf entschieden habe, daß ihr diese Nacht hierbleibt?" fragte Liselle Zoe.
"Aber nein, ich freue mich," beantworte Zoe Liselles Frage.
Die beiden Mädchen aßen und tranken und während dessen erzählte Liselle von dem großen Ball, der in sieben Tagen stattfinden sollte und der die ganze Stadt in Aufruhr versetzte.
"Möchtet Ihr nicht mitkommen?" fragte Liselle Zoe aus einer Eingebung heraus. Es sah ihr ähnlich, eine Kurtisane mit auf das größte gesellschaftliche Ereignis der Saison zu nehmen.
"Oh, sicher. Das wird bestimmt sehr lustig," nahm Zoe die Einladung an.
"Und nützlich," grinste Liselle. "Ihr habt etwas entsprechendes zum Anziehen? Wenn nicht, könnt Ihr Euch gerne aus meinem Kleiderschrank bedienen, wir haben schließlich ungefähr die gleiche Größe und Figur. Sollte etwas nicht ganz passen, wird die Magd es umändern können."
"Danke, ich denke ich habe etwas passendes für diesen Anlaß," bedankte sich Zoe nichtsdestotrotz für das Angebot.
Die Beiden plauderten den ganzen Nachmittag bis spät in den Abend. Liselle bat Zoe, in Gegenwart ihres Vaters ihren Spitznamen Velvet nicht zu benutzen. Zoe verstand auch ohne große Erklärung, warum sie dies wünschte. Auch die Profession Zoes sollte besser unerwähnt bleiben und die beiden einigten sich darauf, Zoe als Angehörige des Puniner Landadels vorzustellen, die für den großen Ball in die Stadt gekommen war. Immerhin war dies nicht vollständig gelogen, es wurde lediglich verschwiegen, welche Geschäfte Zoe wirklich nach Gareth gezogen hatten. Liselle zeigte Zoe noch ihr Zimmer und zog sich dann in ihr eigenes Zimmer zurück. Kurz vor dem Einschlafen lag ein Schmunzeln auf ihrem Gesicht. Das würde Spaß werden mit Zoe auf den Ball zu gehen.