Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Montag, April 25, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VI (1)

(Erster Teil)

29 n. Hal - 14. Tag im Monat des Phex
(Tag des großen Balls)

Im Morgengrauen schlichen sich Zoe und Liselle zur Küchentür. Sie hatten die ganze Nacht durch gefeiert. Durch den Haupteingang konnten sie schlecht ins Haus, schließlich war heute der große Tag des langerwarteten Balls und ihre Eltern würden ebenso früh auf den Beinen sein wie sie beide, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Vorsichtig lugte Liselle durch das Fenster der Küche um herauszufinden, wer sich dort aufhielt. Nur Maria befand sich in der Küche und so öffnete Liselle leise die Küchentür.
"Maria, wo ist mein Vater?"
"Die Frage ist eher, wo kommst du jetzt her?" fragte Maria lakonisch.
"Von draußen?" grinste Liselle.
"Das sehe ich. Dein Vater wird gleich das Haus verlassen," entgegnete Maria. "Es wäre keine gute Idee, ihm in diesen Aufzug über den Weg zu laufen.
Plötzlich bewegte sich die Klinke der Tür zum Speisezimmer und Maria schubste sie geistesgegenwärtig wieder nach draußen und schloß energisch die Tür vor Liselles Nase ohne großartig Rücksicht darauf zu nehmen, daß sich Liselles Kopf im Weg befand.
"Oh, das war knapp. Fast hätte uns mein Vater erwischt," erklärte Liselle Zoe und rieb sich den schmerzenden Kopf. Vorsichtshalber zog sie Zoe von der Küchentür weg, von ihrem Vater dabei erwischt zu werden, daß sie im Morgengrauen derangiert ins Haus schlichen, war alles andere als ein guter Start in den Tag.

Zehn Minuten später holte Maria die beiden ins Haus, schüttelte den Kopf und fragte, wann sie denn geweckt werden wollten damit sie sich für den großen Abend fertigmachen konnten. Die Vorbereitungen für einen Ball nahmen immerhin eine ziemliche Zeit in Anspruch.
"Weck uns so gegen Mittag bitte," sagte Liselle, drückte Maria noch einmal kurz und verschwand auf ihrem Zimmer, wo sie sich nur noch ihrer Kleidung entledigte und ohne weiteres in ihr Bett kroch.

Wie sie es gewünscht hatten, wurden sie zur Mittagszeit geweckt. Liselle fühlte sich komisch, auch wenn sie nicht viel getrunken hatte. Sie schob das auf die Tatsache, daß sie von Maria die Tür vor den Kopf geschmissen bekommen hatte. Zusammen mit Zoe nahm sie ein leichtes Frühstück ein als die Magd mit einem Brief an Zoe das Speisezimmer betrat.
"Für Euch, Mylady, vom Grafen Max von Hochstetten," mit diesen Worten übergab sie Zoe den Brief.
Zoe schaute fragend zu Liselle, doch die konnte sich darauf auch keinen Reim machen.
"Der Graf läßt auch ausrichten, daß er Euch um sieben Uhr abholen wird," führte die Magd weiter aus.
"Wie, der Graf wird uns abholen?" fragte Liselle erstaunt.
"Nein, nur Eure Freundin, so habe ich ihn verstanden."
Zoe öffnete das Siegel, las den Brief und reichte ihn dann Liselle rüber,

Meine verehrte Lady Zoe,

wie vereinbart werde ich Euch dann um sieben Uhr abholen um mit Euch zusammen den Ball zu genießen. Bis dahin verbleibe ich Euer

Max von Hochstetten

"Sag mal, hast du dem Grafen zugesagt, daß du mit ihm auf den Ball gehst?"
"Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Da war irgend etwas, aber ich kann mich nicht klar daran erinnern," erklärte Zoe.
"Naja, dann hast du wenigstens eine Begleitung," grinste Liselle. "Und nun komm, wir müssen uns fertig machen, sonst werden wir nie fertig."

Der Nachmittag verging wie im Fluge und die Mädchen probierten Kleider an, probierten verschiedene Frisuren aus, diskutierten über passenden Schmuck und schminkten sich. Immer wieder war Gelächter und Gekicher aus Liselles Zimmer zu vernehmen. Kurz vor sieben waren die Mädchen dann auch fertig und warteten im Salon darauf, daß Max von Hochstetten Zoe abholen würde. Pünktlich um sieben ging die Türglocke und James kündigte Zoes Begleiter an. Liselle wünschte ihr viel Spaß, man würde sich auf dem Ball wieder sehen.

Während sie noch in der Eingangshalle stand, sah sie James hektisch durch die Halle flitzen und ihren Vater ebenso hektisch fuchtelnd auf der Treppe stehen.
"Wo ist mein Sams? Sind meine Schuhe geputzt? Und ich bin auch noch nicht frisiert!" hektisch wie jedesmal, wenn er sich für eine Einladung zurecht machen mußte. Ohne James wäre Baron Oltenburg hoffnungslos verloren. Liselle ging auf ihren Vater zu, bugsierte ihn in sein Zimmer und sagte ihm, er solle sich beruhigen, sie würden schon rechtzeitig fertig werden. Und wie jedesmal wurden sie das auch, trotz der Hektik, die ihr Vater verbreitete. So bestieg man dann auch pünktlich die Kutsche, die Liselle und ihre Eltern zu dem Ball bringen sollte. Ihre Brüder nebst Anhang würde man dann auf dem Ball treffen.

"Baron von Oltenburg, Lady Oltenburg nebst Tochter Liselle von Oltenburg," rief der Bedienstete, der nur die Aufgabe hatte, bekannt zu geben wer gerade eintraf, und rammte seinen Stab auf den Boden, daß man befürchten konnte, er wolle die Fliesen zerbrechen. Nicht gerade wenige Köpfe drehten sich herum, als der Name durch die Halle schallte. Die Oltenburgs waren ohne Frage keine unbekannte Familie. Nach der pompösen Ankündigung zirkelte man von einem kleinen Grüppchen zum nächsten und redete kurz über das Wetter oder erkundigte sich, wie die Geschäfte liefen. Sehen und gesehen werden hieß die Devise hier, das große Schaulaufen versprach unterhaltsam zu werden. Weniger einflußreiche Leute versuchten sich in der Nähe des alteingesessenen Adels aufzuhalten und möglichst mit ihnen im Gespräch gesehen zu werden und der höhere Adel versuchte alles, diesen Leuten möglichst aus dem Weg zu gehen. So wimmelte Liselle mehrere potentielle Verehrer ab und machte sich durch das Getümmel auf die Suche nach Zoe. Nach ein paar Minuten wurde sie fündig und erkundigte sich, wie es ihrer Freundin ging. Zoe schien eine Menge Spaß zu haben und knüpfte neue Kontakte, wo sie auch stand und ging. Liselle verabschiedete sich lachend und gesellte sich zu ihren Brüdern.
"Na, was macht denn dein Unterricht?" fragte Lionel sofort nach der Begrüßung, diese Frage war so typisch für ihn, daß Liselle Heral anblickte und die Augen verdrehte.
"Wie immer," antwortete sie also kurzangebunden in der Hoffnung, daß Lionel ihr diesmal den Vortrag über die Wichtigkeit einer guten Bildung ersparen würde. Diesen Gefallen tat ihr Lionel allerdings nicht und so stand Liselle ihm gegenüber und ließ seine Worte an ihrem Ohr vorbeiplätschern. Diesen Vortrag kannte sie schon fast auswendig, so oft hatte sie ihn gehört. Während sie Aufmerksamkeit heuchelte, blickte sie sich unauffällig um auf der Suche nach weiteren bekannten Gesichtern. Da donnerte der Ausrufer plötzlich seinen Stab so fest auf den Boden, daß Liselle zusammen zuckte. Die Ehrengäste samt Ehegatten und einem ganzen Gefolge von Freunden war eingetroffen und wurde mit dem entsprechenden Pomp angekündigt. Wie alle anderen schaute auch Liselle neugierig zu den Ehrengästen und ihrem Gefolge, unter denen jedoch bis auf die Zwergin Andra kein bekanntes Gesicht zu sehen war. Andra stach natürlich mit ihrem schlohweißen Haar hervor, was selbst für eine Zwergin ungewöhnlich war. Sie befand sich im Gefolge Elvion Feuerglanzes, von dem man sagte, er sei ein großer Magier, und nach ihren eigenen Erlebnissen mit dieser speziellen Zwergin verwunderte sie das nicht weiter. Ganz im Gegenteil, es erklärte sogar so einiges.

Liselle ging hinter ihren Brüdern zurück zu Baron von Oltenburg, der schon hektisch nach ihnen Ausschau hielt. Denn jetzt gingen die Ehrengäste zu den Familien, die mitgeholfen hatten bei der Organisation des Balles, um sich vorzustellen. Da durfte die Familie von Oltenburg natürlich nicht fehlen. Liselle war sich im klaren darüber, daß ihr Benehmen und jeglicher Fehltritt natürlich sofort Objekt der überall anwesenden Klatschbasen werden würde. Mit ein Grund, warum sie solchen offiziellen Festen meist nicht viel abgewinnen konnte.
"Und dies ist meine Tochter, Liselle von Oltenburg," mit diesen förmlichen Worten stellte der Baron seine Tochter Elvion Feuerglanz, seiner Gemahlin und Andra, der ominösen Zwergin vor. Andra ließ sich nicht anmerken, daß sie sich schon einmal begegnet waren. In Andras Begleitung befand sich ein hochgewachsener, junger Mann, der seinen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, so daß sein Gesicht im Schatten lag. Er trug außergewöhnlich gute und teure Kleidung, bewegte sich allerdings ein wenig unbeholfen, als ob er solche Gesellschaft nicht wirklich gewohnt wäre. Als sie dem Fremden, der ihr als Elrond Feuerlilie vorgestellt wurde, die Hand zum angedeuteten Handkuss reichte, zog dieser seinen Hut ab und Liselle erstarrte.
"Oh nein, das ist doch jetzt hoffentlich ein schlechter Scherz!" dachte sie.
Vor ihr stand der Flegel, mit dem sie vor ein paar Tagen zusammen geraten war und den nur das Eingreifen Andras davor bewahrt hatte, seinen Jähzorn im Kerker auszutoben. Nach einer Schrecksekunde fing sie sich wieder, schließlich ruhten nicht nur die Blicke ihrer gesamten Familie, sondern auch der Ehrengäste auf ihr. Er schien ebenso überrascht, hatte sich aber nicht ganz so schnell wieder im Griff wie sie.
„Nun denn, Eure Tochter ist ohne Begleitung auf dem Ball, mein Schützling ist ebenfalls ohne Begleitung hier, es wäre doch schön, wenn die beiden zusammen die Zeit verbringen. Findet Ihr nicht?“ hörte Liselle Andra zu ihrem Vater sagen.
„Da habt Ihr völlig recht!“ stimmte der Baron diesem Vorschlag zu bevor Liselle auch nur daran denken konnte zu protestieren. Der Fremde starrte sie wohl ebenso entsetzt an wie sie ihn. Trotzdem bot er ihr galant den Arm und ihr blieb nichts anderes übrig als sich bei ihm unterzuhaken. Jede andere Reaktion wäre eine Beleidigung mit den entsprechenden Konsequenzen gewesen.
„Was macht Ihr hier? Ausschau halten nach noch mehr Holz?“ zischte sie ihm giftig zu.
„Wer weiß,“ ihre Begleitung wider Willen zuckte die Schultern.

So schlenderten sie also gemeinsam über den Ball. Elrond schien sich nicht wohl zu fühlen unter all diesen Menschen und wirkte recht unsicher. Liselle fragte ihn, ob dies etwa sein erster Ball sei.
„Hmm, ja, irgendwie schon.“
„Irgendwie?“
„Gut, es ist mein erster Ball. Wundert Euch also nicht, wenn ich Euch beim Tanzen auf die Füße treten werde.“
„Na, das kann ja heiter werden,“ dachte sie während sie mit Elrond von Gruppe zu Gruppe ging und ihn vorstellte.
Dies war das wichtigste gesellschaftliche Ereignis dieser Saison in Gareth und jeder Fehler ihres Begleiters, jeder Verstoß gegen die Etikette und die Regeln, die auf einem solchen Ball herrschten, würde sofort zu einem gefundenen Fressen für die überall anwesenden Klatschbasen werden. Natürlich würde es auch auf sie und somit ihre Familie zurückfallen.
„Oh ihr Götter, das kann ja nicht mehr schlimmer werden,“ seufzte Liselle innerlich. Sie sollte sich irren.