Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Samstag, April 30, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VIII (2)

(zweiter Teil)

Meine Geliebte,

es zerreißt mir das Herz, aber ich wünsche Dir und ihm Glück auf eurem Weg. Mögest Du glücklich werden, nur das ist wirklich wichtig.

In Liebe
Dein P.

Zoe sah sie geknickt dort auf dem Steg sitzen, gesellte sich zu ihr und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.
„Was hast du denn?“ fragte sie ihre Freundin mitfühlend.
Liselle hatte in den vergangenen Tagen genug Vertrauen zu Zoe gefaßt, um sie grob in das ganze Ausmaß des Desasters einzuweihen und ihr den Brief zu zeigen.
„Das klingt nicht gut,“ sagte Zoe leise. „Was wirst du tun?“
„Ich kann nichts mehr tun, wenn er die Warnung in den Wind schlägt und auf diesem Verlobungs-Theater besteht. Sollte er nicht zur Vernunft kommen, dann werde ich mit Patras zusammen die Stadt verlassen. Ich werde niemals im Leben die Frau dieses Mistkerls!“
„Hör zu, ich werde deinen Eltern sagen, daß du dich nicht wohl fühlst und schon einmal vorgefahren bist nach Hause und sie solange wie möglich hier aufhalten. Geh zu deinem Geliebten,“ bot Zoe an.
„Das würdest du tun?“ fragte Liselle.
„Nun mach schon, daß du weg kommst,“ lächelte Zoe sie an.
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, sie eilte zur Kutsche und wies den Kutscher an, sie schnellstmöglich nach Hause zu bringen. Kurze Zeit später hielt die Kutsche vor dem Stadtpalais und Liselle schickte den Kutscher auf eine Besorgung am anderen Ende der Stadt, um Zeit zu gewinnen. Ohne Kutsche würden ihre Eltern nicht so schnell nach Hause gelangen können. Gehetzt zog sie sich um und sah zu, daß sie auf schnellstem Wege zu Patras gelangte. Sie grüßte nicht einmal Sam, als er ihr die Tür öffnete, sondern eilte ohne ein Wort zu sagen die Treppe hoch.
„Was hat das zu bedeuten?“ sagte sie zu Patras, der sie mit einem seltsamen Ausdruck ansah als sie in das Zimmer stürzte, und knallte ihm den Brief auf den Tisch.
„Nun, genau das, was darin steht. Ich will deinem Glück nicht im Wege stehen.“
„Was soll das jetzt? Läßt du mich jetzt auch noch im Stich?“
„Nicht freiwillig, meine Süße, nicht freiwillig,“ seufzte er und Liselle sah den Schmerz, den ihn diese Worte kosten mußten, in seinen Augen.
„Was ist passiert?“ fragte sie sanft und wollte die Hand auf seinen Arm legen, doch er zuckte zurück. „Was hast du?“
Wortlos rollte er den Ärmel seines weiten Hemdes hoch und sie sah, daß er verwundet war. Er hatte eine Brandwunde um das Handgelenk, die aussah, als ob ihn eine glühendheiße Hand dort ergriffen hätte.
„Was ist das?“ fragte sie entsetzt, so etwas hatte sie noch nie gesehen.
„Als ich gestern nacht von unserem Treffen zurück kam und ins Zimmer trat, erschien auf einmal dieses ... dieses ... Feuerding hier, packte mich am Arm und zischte mir zu, ich solle Dich gehen lassen und Dir Glück wünschen, danach verschwand es einfach, als hätte es sich in Luft aufgelöst,“ berichtete er, wie er sich diese Verbrennung zugezogen hatte.
„Feuerding?“
„Ja, es sah entfernt menschlich aus, so von der Form her, und es bestand aus reinem Feuer.“
Liselle mußte erst einmal über das eben Gehörte nachdenken und so schritt sie stumm im Zimmer auf und ab.
„Hör zu, du mußt dir einen neuen Unterschlupf suchen, hörst du? In diesem Haus bist du nicht mehr sicher und ich will nicht, daß dir etwas passiert. Es wird sich alles aufklären und wenn ich zu meinen Eltern gehen und reinen Tisch machen muß.“
„Meinst du? Ich habe versucht, etwas über diese Zwergin, wie war doch gleich ihr Name?“
„Du meinst Andra?“
„Ja, genau. Andra. Wie gesagt, ich habe versucht, etwas über sie herauszufinden. Keiner konnte mir sagen, wer sie ist, wo sie herkommt oder was sie in Gareth macht, das macht mir Sorgen.“
„Ich hab die gleiche Erfahrung gemacht,“ bestätigte Liselle. „Bring Dich in Sicherheit, du weißt, wie du mit mir Kontakt treten kannst.“
„Paß auf dich auf, meine Süße, versprich mir das,“ sagte Patras noch, bevor Liselle sich wieder auf den Heimweg machte.

Sie schaffte es auch in der Tat, noch vor ihren Eltern wieder zu Hause zu sein und im Bett liegend Unwohlsein zu heucheln. Der Baron und seine Frau zogen sich aus ihrem Zimmer zurück, sie wollten ihr Ruhe gönnen. Keine halbe Stunde später klopfte die Magd und überbrachte ihr einen versiegelten Brief.

Hallo Liselle,

es ist dringend notwendig, daß wir uns mal zusammen setzen und diese verfahrene Situation aufklären bevor noch irgendwelche Unglücke passieren. Ich erwarte Euch um zehn Uhr diesen Abend in der Taverne „Roter Hahn“.

Andra

Nachdenklich drehte Liselle das Blatt Papier in der Hand, die Zwergin war wirklich keine Freundin langer Worte oder höflicher Anreden. Sie ging hinunter zu ihren Eltern in den Salon, heuchelte schwere Kopfschmerzen und bat darum, nicht zum Abendessen erscheinen zu müssen, sie wolle sich hinlegen und schlafen. Die Baronin schickte sie auch unverzüglich ins Bett. Liselle wartete bis acht Uhr, wenn das Abendessen bereits aufgetischt sein würde, knüllte eine Decke zusammen und arrangierte das Bett so, daß es aussah, als würde sie tatsächlich darin liegen. Sie wußte, ihre Mutter würde später noch nach ihr schauen, sie aber nicht wecken wenn sie schlief. Oder zumindest glaubte, daß sie in ihrem Bett lag und schlief. Vorsichtig schlich sie sich aus dem Haus und begab sich auf den Weg zum „Roten Hahn“, der im Südquartier lag. Sie kannte diese spezielle Taverne und wußte auch, wie man sie betrat, ohne jemals die Türschwelle überschritten zu haben. Unter der Taverne verliefen unzählige Gänge, die natürlich auch ausgiebig genutzt wurden.

Als Liselle später ebenfalls durch einen dieser Tunnel in besagter Taverne eintraf, stieß sie als erstes auf Patras.
„Was machst du hier?“ fragte sie ihn erstaunt.
„Ich wurde herbestellt,“ erwiderte er und sah sie sanft an.
„Laß mich raten, du hast eine Notiz von Andra bekommen?“
„Woher weißt du das?“ wollte er überrascht wissen.
„Was glaubst du, warum ich hier bin?“

„Diese Zwergin geht mir auf den Keks,“ fluchte er leise vor sich hin.
Kurz darauf bat sie Turike Gussel, die Wirtin der Schenke, von der es in gewissen Kreisen auch hieß, sie würde Waren kaufen und verkaufen ohne nach der Herkunft zu fragen, ihr in ein Hinterzimmer zu folgen. Als sie das Zimmer betraten, war nicht nur Andra anwesend, im Hintergrund stand auch noch Elvion Feuerglanz, neben ihm Liselles verhaßter Möchtegern-Verlobter.
„Also, was wollt ihr?“ wandte sie sich ohne Umschweife an die Zwergin.
„Setzt euch doch erst einmal.“
„Nein danke.“
„Wie ihr wollt. Nurti hat Eurem Freund etwas zu sagen. Los, mach schon Nurti, ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.“
Nurti war wohl der Spitzname von Elrond Feuerlilie, denn dieser trat ohne zu Zögern auf Patras zu und baute sich vor ihm auf.
„Hört mir zu, ich will die Kleine nicht. Sie gehört Euch und wenn Ihr sie liebt, schön für Euch, mir ist die zu anstrengend. Ich wollte der kleinen Rotzgöre lediglich eine Lektion erteilen, daß man nicht so mit Leuten umspringt, wie sie das tut. Ich bin bereit, die ganze Sache zu vergessen, die Verlobung zu lösen und die Schuld auf mich zu nehmen. Hier ist mein Vorschlag: sie entschuldigt sich bei meinem Freund Fayt Leingod für den Tag Kerker, den er dank ihr erhalten hat, und mir schuldet sie einen Gefallen.“
„Redet mit ihr, nicht mit mir. Das ist ja wohl ihre Entscheidung,“ entgegnete Patras und schaute Elrond verächtlich an.
„Also, Ihr habt mich gehört.“
„Soll das hier eine Erpressung werden?“
„Ich sagte Gefallen.“
„Halt mich nicht für blöd, ich erkenne eine Erpressung wenn ich eine sehe.“
„Nein, ich habe lediglich einen Gefallen bei Euch gut, wenn ich einmal Eure, wie auch immer geartete, Hilfe benötigen sollte.“
„Wie auch immer geartete Hilfe?“ wiederholte sie den letzten Teil seines Satzes mißtrauisch.
„Ja, wenn ich mal in der Klemme stecken sollte, einflußreiche Freunde kann man immer gebrauchen. Nicht das, was Ihr denkt! Dafür seid Ihr mir nun wirklich zu anstrengend.“
Liselle ballte die Fäuste vor lauter Wut in den Taschen ihrer schwarzen Stoffhose. All das Theater, weil er der Meinung war, ihr eine Lektion erteilen zu wollen? Man traf sich im Leben immer zweimal, sollte er seinen Gefallen haben, er würde ihn bitter bezahlen. Die Gelegenheit, sich dafür zu rächen, würde sich später mit Sicherheit ergeben.
„Meinetwegen, du hast einen Gefallen frei,“ willigte sie ein und lächelte zuckersüß.
„Und Ihr entschuldigt Euch bei meinem Freund?“
„Wenn du dir das so dringend wünschst,“ gab sie in einem ätzenden Tonfall zurück.
„Gut, sobald Fayt mir bestätigt hat, daß ihr das getan habt, werde ich den ganzen Schlamassel aufklären,“ versprach Elrond.
„Schön, daß wir darüber gesprochen haben,“ vernahmen sie Elvions Stimme aus dem Hintergrund. „Dann kann ich ja auch meine Freunde von diesem Herren hier nehmen.“
Er trat ins Licht und murmelte etwas, die Luft fing an zu schimmern und plötzlich schwebten zwei menschenähnliche Gebilde, die aussahen wie Wolken, in den Raum. Patras wurde kreidebleich und Liselle starrte ungläubig auf diese Kreaturen. Sie hatte bisher nicht an so etwas wie Dämonen oder Magie geglaubt oder war gar damit in Berührung gekommen.
„Eure Dienste werden nicht mehr benötigt,“ sagte Elvion und mit einer fast nachlässigen Handbewegung ließ er sie verschwinden.
Liselle starrte noch für einen Moment auf die Stelle, wo gerade eben noch diese ... Dinger gestanden hatten, dann verließ sie mit Patras grußlos das Hinterzimmer und begab sich auf dem gleichen Weg zurück auf die Straße auf dem sie auch herein gekommen war.

Patras begleitete sie noch bis zur Gartenpforte und die beiden sprachen kaum auf dem Weg. Dort angekommen zog er sie an sich und küßte sie sanft und liebevoll.
„Ich glaube, ich werde für eine Weile diese Stadt verlassen und auf den Landsitz meiner Familie fahren,“ flüsterte sie ihm zu. „Ich habe kein Interesse daran, diesem Kerl noch einmal über den Weg zu laufen, ich hätte nicht übel Lust, ihm meinen Dolch zwischen die Rippen zu rammen.“
„Eine gute Idee. Ich weiß schließlich, wo das ist und werde dich dort besuchen kommen, meine Süße. Wir brauchen beide Zeit, um mit den Geschehnissen der letzten Tage fertig zu werden,“ stimmte er ihr zu, küßte sie ein letztes Mal und verschwand dann in den Schatten.
Liselle kletterte über den Balkon wieder in ihr Zimmer und achtete darauf, daß sie ihre Straßenkleidung sorgsam im Schrank versteckte, bevor sie sich ins Bett begab. Glücklicherweise fiel sie schnell in einen tiefen und traumlosen Schlaf.