Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Montag, Mai 16, 2005

Drittes Abenteuer - Kapitel IV (2)

(zweiter Teil)

Die Zeit verging quälend langsam. Liselle hätte nicht sagen können, wie lange sie jetzt dort saß, fast ohnmächtig vor Wut und mit der Angst, die ihr langsam den Rücken hoch kroch. Es hätte eine Minute oder ein Tag sein können, ihr Zeitgefühl hatte sie im Stich gelassen. Gerade als Liselle die Hoffnung, jemals wieder Tageslicht zu erblicken, aufgeben wollte, erklang draußen ein gedämpfter Pfiff.
„Oh, Eure edlen Retter scheinen eingetroffen zu sein, Myladies. Ich werde sie dann mal gebührend begrüßen gehen. Entschuldigt mich bitte, ich werde gleich wieder zugegen sein,“ sagte der Entführer spöttisch. Liselle hörte ihn die Treppe hinaufgehen und die Falltür öffnen. Von draußen klang Kampflärm wie aus weiter Ferne.
„Paßt auf, da ist noch einer!“ brüllte Liselle mit aller Kraft, die ihre Lungen hergaben, um die Leute draußen zu warnen, von denen sie hoffte, daß sie wirklich hier waren um sie zu retten. Sie brüllte ihre Warnung mehrmals, bis der Kampflärm verstummte und sie erneut Schritte hörte, die eilig die Treppe hinunter kamen. Sie kam gar nicht erst dazu, sich Gedanken zu machen, wer es sein könnte, da wurden ihr auch schon die Fesseln zerschnitten und die Augenbinde abgenommen.
„Na endlich, ihr habt euch ja ganz schön Zeit gelassen,“ sagte sie und lachte als sie Fayt und Elrond erblickte.
„Typisch. Da rettet man euch beide und alles, was ihr zu tun habt ist Nörgeln,“ auch Elronds Gesicht war die Erleichterung deutlich anzumerken, als er sie in die Arme schloß und sanft küßte. Fayt übernahm es, Zoe von ihren Fesseln zu befreien.
„Was hast du da gemacht?“ fragte Liselle entsetzt als sie entdeckte, daß Elrond am Oberarm blutete.
„Nichts, das ist nur ein Kratzer,“ beruhigte er seine Liebste. Doch seine Worte beruhigten Liselle ganz und gar nicht, Elrond wurde gerade abwechselnd bleich und wieder rot.
„Was hast du?“ fragte sie besorgt.
„Weiß nicht ... mir ist ... heiß ... hol Andra ... Waffengift,“ brachte er stockend heraus und ging in die Knie. Liselle drehte sich herum und stürmte die Treppe hinauf auf der Suche nach Andra. Sie fand die Zwergin, wie sie gerade interessiert das untersuchte, was von den Entführern übrig geblieben war.
„Was macht ihr da?“ fragte Liselle angewidert.
„Frische Leichen bekommt man nicht oft zu Gesicht,“ erwiderte Andra ungerührt.
„Meint Ihr nicht, Ihr solltet Euch erst mal um die Lebenden kümmern bevor Ihr die Toten ausnehmt?“
„Warum denn? Nurti hat doch nur einen Kratzer abbekommen.“
„Ihm scheint es nicht gut zu gehen und er hat was von Waffengift gesagt.“
„Oh. Wenn es den sein muß,“ Andra erhob sich und warf einen bedauernden Blick auf die Toten bevor sie sich zu Liselle herum drehte. „Sieh doch, Fayt bringt ihn doch schon raus. Leg ihn da hin, ich guck mir das mal an.“
Fayt tat, was Andra ihm sagte und legte Elrond vorsichtig auf den Boden, nahm seinen Mantel, knüllte ihn zusammen und benutzte ihn als Kopfkissen für seinen Freund, der leichenblaß war und dem Schweiß auf der Stirn stand.
„Fayt, weißt du, wo wir hier sind?“ fragte Liselle.
„Ja, ich denke doch,“ erwiderte er.
„Findest du den Weg zum Gut zurück?“
„Müßte ich eigentlich ohne Probleme.“
„Gut, dann lauf so schnell du kannst zurück, laß meinen Vater benachrichtigen, daß ihr uns gefunden habt, laß jemanden einen Arzt rufen und bring Hilfe mit,“ bat Liselle ihn.
„Warte, bevor du gehst, nimm das hier mit,“ sagte Elrond mit schwacher Stimme und reichte Fayt ein paar Papiere.
„Was ist das?“ wollte Liselle wissen.
„Ein paar Papiere die wir in einem verlassenen Haus gefunden haben, ein paar Karten und ein Testament oder so etwas,“ erwiderte Fayt und hielt ihr die Papiere unter die Nase.
„Gut, dann beeil dich bitte,“ Liselle schenkte dem, was Fayt ihr entgegenhielt, keine Beachtung sondern drehte sich um und sah zu, wie Andra die Wunde versorgte und dabei vor sich hinmurmelte. Fayt ließ das, was er nicht brauchte, bei ihnen, stellte noch eine Flasche neben Elrond und lief los.
„Was hat er?“ fragte Liselle Andra und die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Elrond war leichenblaß.
„Sieht nicht gut aus,“ murmelte Andra.
„Tut etwas, Ihr seid doch die Heilkundige,“ flehte Liselle.
„Ich werde tun, was ich kann, doch beantworte mir eine Frage.“
„Wie bitte?“
„Ich werde versuchen ihn zu retten, auch wenn ich es nicht für wahrscheinlich halte, daß er überlebt. Doch liebst du ihn nun wirklich?“ Andra schaute sie neugierig an.
„Bist du wahnsinnig geworden? Was soll das denn bitte für eine Frage sein,“ Liselle schaute die Zwergin fassungslos an. „Was glaubst du denn?“
„Liebst du ihn nun oder nicht?“
„Natürlich liebe ich ihn und jetzt hör auf mit mir zu diskutieren, tu was!“ Liselle war nahe daran, hysterisch zu werden.
„Ich glaube, er wird es überleben,“ gab die Zwergin gelassen von sich. „Ich muß nur ein paar Kräuter finden.“
„War das wieder einen von deinen unsäglichen Ärztewitzen?“ Liselles graue Augen sprühten Funken, sie erinnerte sich daran, als Andra Zoe erzählt hatte, sie müsse ihr das Bein abnehmen.
„Mit dem Tod macht man keine Witze,“ erklärte Andra ernst. „Jetzt paß hier auf die beiden auf, ich bin gleich wieder da.“

„Mir ist schwummerig,“ klagte Zoe. Andra war schon eine gute Stunde damit beschäftigt, auf der Wiese nach dem, was sie benötigte, zu suchen. Liselle drehte sich zu ihrer Freundin um, die weiß war wie eine frisch gekalkte Wand. Sie verdrehte die Augen und kippte nach hinten um. Liselle sprang auf und rannte zu Zoe.
„Was hast du? Wach auf!“ rief sie, doch Zoe rührte sich nicht.
„Was ist denn jetzt schon wieder?“ fragte Andra, die Liselles Geschrei gehört hatte und wieder zurück gekehrt war.
„Ich weiß es nicht, sie sagte nur, ihr sei schwummerig und dann ist sie plötzlich weggekippt,“ erklärte Liselle hilflos.
„Ich glaube, ich weiß was sie hat,“ sagte Andra und schob Zoes Hosenbein bis zum Knie hinauf. „Wer hat denn die Bandage angelegt?“
„Fayt hat sich darum gekümmert soweit ich weiß.“
„Wenn man nicht alles selber macht,“ brummte die Zwergin. „Schau her, damit du was lernst.“
Andra zerschnitt die Bandage und schüttelte den Kopf, als sie die Wunde sah. Liselle drehte es bei dem Anblick fast den Magen um. Die Wunde war eitrig und strömte einen üblen Geruch aus.
„Was ist das denn?“ Liselle unterdrückte ihren Brechreiz.
„Wundbrand,“ Andra begann die Wunde zu säubern und Liselle schaute trotz ihres Ekels fasziniert zu.

Es war schon später Nachmittag als Fayt mit Hilfe zurückkehrte. Elrond und Zoe wurden auf Tragen gelegt und vorsichtig trugen die Männer die beiden zurück zum Gutshof, wo die Haushälterin bereits die Betten hatte vorbereiten lassen und einen Boten nach einem Arzt geschickt hatte. Der war sofort nach Gareth abgereist sobald ihm Fayt die gute Nachricht überbracht hatte. Elrond und Zoe wurden in ihre Betten gebracht, Fayt saß bei Zoe und Liselle bei Elrond, Andra verschwand in den Stall.

Liselle war in ihrem Sessel kurz eingenickt als sie Hufschlag auf dem Hof hörte und aufschreckte. Sie ging auf den Balkon und schaute hinunter, es war jemand in einer Robe. Eilig ging sie in die Halle, sie vermutete, daß es der gerufene Arzt war. Sie begrüßte ihn kurz und führte in direkt in Elronds Zimmer.
„Was ist denn genau passiert?“ erkundigte sich der Arzt. Liselle erklärte ihm in Kürze, wie es zu der Wunde gekommen war und um welches Waffengift es sich laut Andras Meinung handelte.
„Das Gift dürfte nach achtzehn Stunden mittlerweile abgebaut sein, es ist ein recht schwaches Gift. Die Wunde allerdings kann ich heilen, das ist kein Problem,“ führte der Arzt aus. „Die Erstversorgung war wirklich erstklassig.“
„Wir hatten eine heilkundige Zwergin dabei.“
„Das erklärt natürlich einiges. Würdet Ihr bitte ein wenig zurück treten, ich benötige Konzentration,“ bat der Arzt. Liselle kam seiner Bitte nach und er begann leise zu murmeln während er seine Hände über die Wunde hielt. Liselle meinte, ein schwaches Schimmern zu sehen, doch es hätte auch von den Kerzen herrühren können. Fasziniert beobachtete sie, wie Elronds Wunde am Arm sich vor ihren Augen schloß. Nicht einmal eine Narbe blieb zurück, die Haut war unversehrt, als wenn nie etwas geschehen wäre.
„Habt Ihr noch jemanden, der versorgt werden muß oder war dies der einzige Patient,“ wandte sich der Arzt an Liselle, die immer noch staunend den nun unversehrten Arm betrachtete.
„Ja, meine Freundin hat eine Verletzung am Bein, bei der sich wohl Wundbrand entwickelt hat,“ Liselle führte ihn in das Zimmer ihrer Freundin. Fayt schaute auf und Liselle schickte ihn kurz hinaus. Wieder entfernte der Arzt den Verband und sah sich die Wunde erst einmal an.
„Eure heilkundige Zwergin versteht ihr Handwerk,“ sagte er mit einem anerkennenden Nicken. Dann konzentrierte er sich wieder und diesmal sah Liselle ein grünliches Leuchten. Der Eiter verschwand, ebenso der üble Geruch und die Wunde sah wieder aus als hätte man eben erst den Holzsplitter entfernt. Der Arzt murmelte erneut und Liselle durfte wieder fasziniert beobachten, wie die Wunde einfach verschwand.
„Laßt die Patienten schlafen,“ empfahl er und verließ mit Liselle im Schlepptau das Zimmer. Sie nickte Fayt zu, der sich wieder zu Zoe ans Bett setzte.
„Benötigt Ihr sonst noch etwas? Ich kann auch Erinnerungen löschen,“ bot der Arzt an.
„Nein danke, das ist zwar verlockend, aber ich brauche meine Erinnerungen noch,“ lachte Liselle. „Wenn Ihr Hunger habt, dann lasse ich Euch gerne etwas kommen.“
„Habt dank, aber ich werde noch woanders erwartet,“ lehnte er freundlich ab. Liselle brachte ihn noch zur Tür, bevor sie wieder zu ihrem Sessel in Elronds Zimmer zurückkehrte.