Zweites Abenteuer - Kapitel IV
Vier Tage vergingen, bis Andra den beiden Mädchen, die im Bett lagen und sich langweilten, endlich erlaubte, wieder aufzustehen und vor allem, etwas anderes als Suppe und Haferschleim zu essen. Sie waren aufgrund ihres Ausfluges, der im Regen geendet hatte, schwer an Fieber erkrankt.
Als Liselle zwei Tage später wieder aufgewacht war und sich nur noch daran erinnern konnte, daß sie hektisch an der Klingelschnur gezogen hatte, war ihr erster Blick auf die Zwergin gefallen, die am Fußende ihres Bettes auf einem Stuhl saß und immer wieder mit dem Kopf nach vorne nickte, offensichtlich war sie kurz davor gewesen, einzuschlafen. Draußen schien wieder die Sonne und den Geräuschen vom Hof her zu urteilen war es schon sehr spät.
"Andra?" hatte sie die Zwergin fragend angesprochen. "Wie lange habe ich geschlafen?"
"Was?" erschrocken war Andra vom Stuhl gesprungen. "Oh, Ihr seid ja wieder wach. Wie geht es Euch?"
"Ich fühl mich schwummerig," hatte Liselle geantwortet.
Andra hatte eine übelschmeckende Suppe bringen lassen, mit der sie die beiden Mädchen auch auch noch am folgenden Tag hatte quälen lassen, und ihr erzählt, daß sie fast zwei Tage geschlafen hatte. Zoe und sie waren an einem gefährlichen Fieber erkrankt und da Andra nicht die benötigten Kräuter zur Hand hatte, um sie damit zu behandeln, war sie gezwungen gewesen, mitten in der Nacht mit Nurti draußen herumzulaufen und danach zu suchen.
"Wäre er nicht gewesen, dann wäre es um Euch geschehen," hatte sie mit einem Schmunzeln gesagt, sie erinnerte sich zu gut an das Gekeife jedesmal, wenn die beiden aufeinander trafen.
"Wieso das denn? Was hat er mit Eurer Heilkunst am Hut?" hatte Liselle gefragt.
"Nun ja, ich habe nicht ein einziges Blatt des benötigten Krautes gefunden, bis mich Nurti versehentlich im Dunklen geschubst hat, ich so einen Hang hinunter kullerte und mitten in einer ganzen Ansammlung dieser Pflanzen landete. Doch das muß er ja nicht wissen," hatte die Zwergin sie verschwörerisch angegrinst.
Da sie ja nun ihrer Lebensretterin und ihren Gefährten nicht einfach die Tür weisen konnte, blieben die drei ihre Gäste wider Willen. Liselle hatte gerade im Bett gesessen und war die Liste der möglichen Gäste durchgegangen, die sie von der Haushälterin bekommen hatte, als es an der Tür klopfte. In der Annahme, daß es die Magd war, die ihr schon wieder diese widerliche Suppe bringen wollte, rief sie in Gedanken versunken "Herein".
"Stellt das Zeug bitte dahin, ich werde es später essen," hatte sie gesagt ohne aufzublicken.
"Was? Ich wollte mich erkundigen, wie es Euch geht?" hatte eine Stimme von sich gegeben, die ganz und gar nicht zu der Magd gehörte.
"Ist es Euch vielleicht mal in den Sinn gekommen, daß es sich nicht gehört, das Schlafzimmer einer Dame zu betreten?" hatte sie ihn von oben herab belehrt, als sie aufgeschaut und Elrond erblickt hatte.
"Wieso, Ihr habt doch herein gesagt?" er war offensichtlich verwirrt und wußte nicht, was er jetzt schon wieder falsch gemacht haben sollte.
"Ich habe in der Annahme, daß es sich um die Magd handelt, herein gerufen," hatte sie weiter erklärt. "Doch wenn ihr schon einmal da seid, was wolltet Ihr? Und vor allem, was macht Ihr hier? Ist die Welt nicht groß genug, daß Ihr mir aus dem Weg gehen könnt? Woher wußtet Ihr überhaupt, daß ich hier bin?"
"Euer Vater hat mir gesagt, daß Ihr abgereist seid und wohin als ich nach Euch gefragt habe. Wir sind hier, weil ich Euch fragen wollte, ob Ihr uns nicht begleiten möchtet?"
"Begleiten? Wohin? Eure wieder aufgetauchte Verlobte suchen?"
"Fayt und ich haben eine Legende über einen verschollenen Schatz in der Damönenbrache gehört und wenn Ihr Lust habt, dann könnt Ihr gerne mitkommen," hatte er ihre Fragen beantwortet und Liselle hatte ihn erstaunt angeschaut.
"Wieso fragt er ausgerechnet mich sowas, nach all dem was passiert ist?" sie sprach diesen Gedanken allerdings nicht aus.
"Dann laßt uns Zoe dazu holen, dann könnt Ihr mehr darüber erzählen," hatte sie laut erwidert.
"Zoe darf nicht aufstehen, Andra hat das noch nicht erlaubt," hatte er entgegnet.
"Dann schickt ihn," Liselle hatte mit dem Kopf in Fayts Richtung gedeutet, "damit er sie holt."
Dieser ging auch sofort los, um zu tun, was sie gesagt hatte.
"Und Ihr setzt Euch erstmal und steht da nicht herum wie bestellt und nicht abgeholt," sie hatte mit der Hand dabei gebieterisch auf einen Stuhl gezeigt.
Als wenig später Zoe dazu gestoßen war und hörte, was die beiden zu berichten hatten, da hatten ihre Augen bei dem Wort "Schatz" aufgefunkelt.
"Klingt interessant, aber erst einmal sollten Liselle und ich wieder richtig gesund werden," hatte sie gemeint und angefügt, daß sie jetzt wohl besser wieder ins Bett gehen sollte bevor Andra sie noch erwischte und die Möglichkeit bekam, allen Vieren einen Vortrag über Genesung und Ruhe zu halten.
Da sonst nicht sehr viel spannendes passiert war, sondern die Mädchen sich ins Bett verbannt zu Tode langweilten, zogen sie sich voller Vorfreude an, als Andra ihnen gestattete, ihre Betten zu verlassen. Liselle hatte die Zeit im Bett genutzt, um die Einladungen für die Feier, die für den 27. Phex geplant war, zu schreiben und versenden zu lassen. Auch ihrer Familie hatte sie geschrieben und sie darüber informiert, daß sie Andra zu Gast hatte und daß diese sie und Zoe von einem Fieber geheilt hatte. Sie verharmloste diesen Zwischenfall, so daß ihre Eltern nicht noch besorgt anreisen würden. Patras hatte sie ebenfalls geschrieben und ihn eingeladen, doch zu der kleinen Feier zu kommen.
Liselle und Zoe gingen gerade gemeinsam die Treppe hinunter und malten sich gegenseitig aus, was sie nach der Suppen- und Haferschleim-Tortur jetzt leckeres essen mochten, als sie aus der Küche Getöse hörten.
"Nein, laß das! Geh da weg, Hasso, das ist nicht für dich!" hörten sie Andra schimpfen.
Zoe rief ihren Hund zu sich, der mit wedelndem Schwanz aus der Küche geschossen kam und sich von ihr am Kopf kraulen ließ. Neugierig ging Liselle in die Küche, sie wollte wissen, was das Getöse zu bedeuten hatte. Als sie mit Zoe und deren Hund im Schlepptau die Küche betrat, sah sie Andra in einem Topf herumrühren, in dem eine Art Paste fröhlich vor sich hinblubberte.
"Oh, ihr beiden seid das," begrüßte Andra sie. "Ich hoffe, Ihr entschuldigt das Chaos, das ich in Eurer Küche angerichtet habe."
Liselle sah sich um und zog die rechte Augenbraue hoch. In der Küche sah es aus, als wäre ein Sturmwind hindurch gefahren, der alles durcheinander gewirbelt hatte.
"Solange Ihr das Chaos bis zum Fest wieder beseitigt habt, könnt Ihr die Küche gerne benutzen. Was macht Ihr da eigentlich?" neugierig trat sie näher an den Herd.
"Ich experimentiere ein wenig," wich Andra aus und rührte weiter.
Ehe sich die Zwergin versah, hatte die neugierige Liselle ihren Finger erst in den Topf und dann in den Mund gesteckt.
"Schmeckt ja nach gar nix, nur ein wenig bitter," sagte sie enttäuscht.
Die Zwergin starrte sie entsetzt an.
"Was habt Ihr?" wollte Liselle verunsichert wissen.
"Ich weiß nicht, was das wird. Wie gesagt, ich experimentiere ..." weiter kam sie nicht, als sie von Liselle unterbrochen wurde.
"Das ist doch nicht etwa giftig?!"
"Nein, nein. Ich bin mir nur nicht über die Wirkung im klaren," beruhigte Andra die entsetzte Liselle, die panisch auf ihren Finger starrte, von dem sie gerade eben erst den Inhalt des Topfes probiert hatte. "Da ist nichts giftiges drin, aber bitte, bitte, informiert mich umgehend darüber, wenn Ihr Euch in irgendeiner Art unwohl fühlt oder einfach nur anders als sonst."
"Da könnt Ihr aber Gift drauf nehmen, daß ich das tun werde," entgegnete Liselle.
"Nun, wahrscheinlich hat es gar keine Wirkung, aber man kann ja nie wissen. Was möchtet Ihr denn essen, meine Damen? Ach, ich werde Euch schon etwas Leichtes zubereiten lassen, geht in den Salon und ruht Euch aus, wir wollen Euch ja nicht überanstrengen."
Die beiden Mädchen taten wie geheißen, setzten sich gemütlich hin und warteten auf ihre Mahlzeit, die auch zügig serviert wurde. Begeistert machten sich Liselle und Zoe über die Früchte, das Brot und den leicht bekömmlichen Käse her. Nachdem sie gesättigt das Geschirr hatte abräumen lassen, erzählte Liselle, daß sie Patras eingeladen hatte.
"Oh, der wird aber nicht begeistert sein, unserem Besuch zu begegnen," sagte Zoe mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Genau. Da werde ich mir noch etwas einfallen lassen müssen," erwiderte Liselle.
Als es anfing zu dämmern, unterbrach Andra die Unterhaltung der beiden als sie den Salon betrat und sich bei Liselle nach deren Befinden erkundigte.
"Mir geht es gut, ich bin lediglich ein wenig unkonzentriert," gab diese Auskunft.
"Hmm, das könnte gut noch eine Nachwirkung des Fiebers sein, Ihr seid ja heute erst aufgestanden," brummte die Zwergin, nicht wissend, daß Liselle ihr den wahren Grund ihrer Unkonzentriertheit verschwieg. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu dem Nachmittag zurück, an dem sie das letzte Mal mit Patras geschlafen hatte.
"Dann geht jetzt am besten ins Bett, damit Ihr Euch nicht überanstrengt. Husch, husch" scheuchte sie Liselle und Zoe aus dem Zimmer, die sich auch nicht wagten zu widersprechen.
Ein paar Stunden später lag Liselle immer noch wach im Bett, sie konnte nicht einschlafen. Sie fühlte sich unruhig und aufgedreht. Mit einem Seufzen stand sie auf und nahm ein Buch über die Geschichte der kaiserlichen Familie zur Hand. Was sie allerdings früher im Unterricht immer dazu gebracht hatte zum Unwillen ihres Lehrers den in der Nacht verpaßten Schlaf aufzuholen, wirkte diesmal nicht. Außerdem war ihr fürchterlich warm, so daß sie erst das Fenster öffnete und sich dann ihres Nachthemdes entledigte. Kurz vor Mitternacht bekam sie auch noch Durst, also warf sie sich ihren Morgenmantel über und ging in die Küche auf der Suche nach einem Glas Wasser.
"Andra, das muß von Andras Gebräu kommen!" sagte sie in die dunkle Küche hinein. "Ich werde mit Andra sprechen, das kann nur von diesem Zeug kommen."
So eilte sie die Treppe hinauf zu Andras Zimmer, in dem sie extra die Matratze hatte wechseln lassen, weil die ursprüngliche ihr zu hart gewesen war.
"Andra? Andra?" rief sie leise während sie anklopfte.
"Herein."
"Andra, ich muß mit Euch sprechen. Ich glaube ich weiß, was dieses verdammte ..." sie unterbrach sich und starrte entsetzt auf das Bett. Das da war definitiv nicht Andra!
"Was macht Ihr in diesem Zimmer?" verlangte sie gebieterisch von Elrond, der auf dem Bett saß, gemütlich an das Kopfteil gelehnt, und eine Pfeife rauchte.
"Nun, das könnte ich Euch ebenso fragen."
"Dies ist Andras Zimmer, ich muß dringend mit ihr sprechen, ich ..." versuchte sie zu erklären, während ihr Blick langsam über die breite Brust wanderte, die das offene Hemd enthüllte.
"Nun ja, ich kann nicht schlafen und wollte sie bitten, mir doch einen Schlaftrunk zu geben," erklärte sie lahm, er mußte nicht wissen, warum sie Andra wirklich suchte."Ich war der Meinung, sie hier vorzufinden. Wo ist sie denn?"
"Andra ist im Stall schlafen gegangen und hat mir ihr Zimmer angeboten, deswegen bin ich hier. Und Ihr könnt also nicht schlafen? Wie wäre es mit einem Spaziergang?" schlug er vor.
"So, so, Andra ist im Stall ..." murmelte Liselle. "Spazieren gehen?"
Doch statt sich einfach umzudrehen und Andra zu suchen, stand sie weiterhin vor dem Bett und musterte ihn verstohlen. Er war offensichtlich absolut verwirrt von ihrem Verhalten und starrte sie seinerseits unverhohlen an. Das Feuer im Kamin tauchte das Zimmer in warmes rotes Licht während das Spiel der Flammen buntschillernde Bilder auf der Seide ihres Morgenmantels malte und ihren Haaren einen roten Schimmer verlieh. Liselle genoß die Verwirrung auf seinem Gesicht, sie fand, daß er ein wenig Verwirrung verdient hatte nach dem ganzen Theater, daß er verursacht hatte. Sie beschloß, ein wenig mit ihm zu spielen, bevor sie Andra suchen ging, und ließ den Morgenmantel ein Stück über ihre Schultern rutschen.
"Spazieren gehen? Dafür ist es mir aber zu kalt draußen," sagte sie, ließ den Blick wieder über seine breite Brust wandern und fragte sich, wie die sich wohl anfühlen mochte.
"Hmm," machte er, den Blick nicht von ihr lassend, sein Ausdruck wurde immer verwirrter und stachelte Liselle an, noch einen Schritt weiterzugehen.
"Spazieren gehen, ist das alles, was Euch einfällt?" der Morgenmantel rutschte noch ein Stück tiefer während sie sich auf das Bett setzte und mit den Fingern sanft über seine Brust strich. Sie fühlte sich gut an, viel zu gut, und Liselle mußte an den Tanz auf dem Ball und seine leichte Art, sich zu bewegen, denken.
Er starrte sie mit offenem Mund an, auf seinem Gesicht stand deutlich die Frage geschrieben, was hier gerade bitte passierte.
"Daß Ihr küssen könnt, habt Ihr mir immerhin schon im Hause meines Vaters gegen meinen Willen bewiesen ... Spazieren gehen, also bitte!" sie schnaubte verächtlich und ihre Augen funkelten während sie ihre Finger hinunter zu seinem Bauch wandern ließ. Irgendwie hatte sie ganz vergessen, daß sie eigentlich zu Andra wollte.
Er sagte auch jetzt nichts mehr, faßte sie mit einer Hand vorsichtig im Nacken, zog sie zu sich hinunter auf das Bett und küßte sie. Andra war vergessen als Liselle den Kuß erwiderte und sich widerstandslos von ihm in seine Arme ziehen ließ.
<< Home