Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Samstag, Mai 21, 2005

Viertes Abenteuer - Kapitel I (2)

(zweiter Teil)

„Was willst du hier?“ Patras Frage klang schroff, doch Liselle konnte in seinen Augen sehen, daß ihr Anblick ihn schmerzte.
„Kannst du mir einen kleinen Gefallen tun?“ fragte sie sanft und schüttete den Inhalt des kleinen Lederbeutels auf den Küchentisch. „Ich brauch den Kram nicht mehr und ich bin ein bißchen pleite.“
Er begutachtete die Schmuckstücke und achtete dabei peinlich darauf, zwischen ihnen genug Abstand zu halten.
„Zwei Dukaten, mehr kann ich dir dafür nicht geben,“ erklärte er mit Bedauern.
„Nicht mehr?“
„Nein, das Zeug ist nicht wirklich was wert.“
„Gut, dann gib mir die zwei Dukaten,“ erklärte Liselle sich einverstanden.
Draußen auf der Treppe erklangen Schritte und Patras wurde sichtlich nervös als er ihr die zwei Dukaten überreichte. Die Küchentür ging auf und Quisira stand dort wie angewurzelt.
„Was macht diese Schlampe in meinem Haus?“ verlangte sie gebieterisch von Patras und deutete auf Liselle. „Du hast mir versprochen, daß da nichts mehr läuft und das ich die Einzige bin!“
„Sie ist geschäftlich hier,“ Patras Versuch, Quisira damit zu beschäftigen, schlug fehl.
„Sag ihr, sie soll verschwinden. Ich will sie hier nicht sehen!“ keifte Quisira. „Du fängst nur wieder was mit der an!“
„Ach, weißt du Quisira, seit dem ganzen Ärger mit Männern und der Entführung interessieren mich Männer nicht mehr. Du hingegen,“ sie musterte Quisira anzüglich von oben bis unten, „wärst hingegen schon eher mein Geschmack. Hast du heute Nachmittag schon etwas vor?“
Quisira drehte sich ohne ein weiteres Wort beleidigt um, Sam und Liselle grinsten ihr hinterher.
„Du versaust mir den Nachmittag!“ beschwerte sich Patras.
„Oh, das tut mir leid. Du wirst sie schon besänftigen, schließlich verlasse ich die Stadt,“ entgegnete Liselle ruhig.
„Geh jetzt am besten. Und,“ er zögerte kurz, „paß gut auf dich auf!“ Dann ging er wieder nach oben, hinter der schmollenden Quisira her.
„Hehe, der hast du aber den Wind aus den Segeln genommen,“ kicherte Sam und Liselle lächelte spitzbübisch.
„Hast du Feder und Papier für mich?“ bat sie ihn. Er brachte ihr, was sie wünschte und brühte ihr auch noch einen Tee auf während sie am Tisch saß und schrieb.

Mein lieber Patras,

ich bin Dir wirklich nicht böse, weil Du auf dem Landgut davon gerannt bist wie ein Hase. Ich kann Dich sogar verstehen, ich hätte wahrscheinlich nicht anders reagiert an Deiner Stelle. Mir ist auch nicht mehr wichtig, wieso und warum Quisira dort war. Es hat sich alles anders ergeben, als ich mir das gewünscht habe für uns. Ich weiß nicht, wie weit du informiert bist über die Entführung durch die Hochstettens (die meine Familie leider nicht beweisen kann, da meine „Retter“ die angeheuerten Entführer dummerweise umgebracht haben), doch ich kann dir versichern, es wurden keine Drachen getötet und Magie war auch nicht im Spiel.
Mein Vater hält es für das Beste, wenn ich die Stadt verlasse. Auch um vorzubeugen, daß so etwas noch einmal geschieht. Ich werde mit der Zwergin Andra, ihren Gefährten und meiner Freundin Zoe morgen früh nach Thorwal aufbrechen.
Auch wenn es jetzt merkwürdig klingt, aber ich werde Dich und unsere nächtlichen Streifzüge vermissen. Du hast mich viel gelehrt und wer weiß, vielleicht nützt es mir eines Tages. Nein, es wird mir ganz sicher nützen. Unsere gemeinsame Zeit war etwas Besonderes, wenigstens für mich, auch wenn sie jetzt vorbei ist und wir getrennte Wege gehen. Du wirst mir fehlen.
Ich wünsche Dir und Quisira alles Gute, mögest Du in ihr finden was ich Dir nicht sein kann. Solltest Du, in welcher Form auch immer, meine Hilfe benötigen, dann nimm mit mir Kontakt auf. Maria wird wissen, wo ich wie zu erreichen bin.
Paß gut auf Dich auf, mein Freund.

In Liebe und Freundschaft.
Deine Velvet

Liselle faltete den Brief zusammen und reichte ihn Sam, der sie anschaute und nickte. Dann stand sie auf, ging auf Sam zu und umarmte ihn.
„Paß gut auf ihn auf, hörst du?“ flüsterte sie.
„Das werde ich,“ seine Stimme klang rauh. „Und du paß auf dich auf, Kleine. Du wirst mir fehlen. Und ihm auch, daß weiß jeder.“
„Ihr beide werdet mir auch fehlen,“ Liselle löste sich aus der Umarmung und zwinkerte Sam zu. „Was meinst du, werde ich Quisira auch fehlen?“
„Wohl eher nicht,“ Sam grinste wie ein kleiner Lausbube.
„Schade aber auch. Grüß Wolfmann von mir, wenn du ihn siehst,“ bat sie Sam noch.
„Werde ich machen, weißt du doch,“ entgegnete Sam und seine Stimme klang sonderbar belegt. Als Liselle sich umdrehte und zur Tür hinausging rieb der große Leibwächter sich verstohlen die Augen. „Da geht sie in die große Welt hinaus, die kleine Velvet.“
Doch Liselle hörte ihn nicht mehr.

Liselle strich bewundernd über das glatte, braune Leder ihrer neu erworbenen Wanderstiefel. Sie waren ausgezeichnet verarbeitet und innen mit weichem Fell gefüttert, das ihre Füße wärmen würde bei Kälte. Sie hatte sie bei einem der besten Schuhmacher Gareths erworben, der auch ihre schwarzen Stiefel mit der speziellen Sohle gefertigt hatte. Sie würden ewig halten bei guter Pflege und waren ihren Preis von vier Dukaten durchaus wert.
„Morgen, ihr beiden hübschen. Morgen geht es los,“ sagte sie halblaut und stellte das Schuhwerk vor den mit verspielten Schnitzereien verzierten Kleiderschrank. Dann nahm sie noch ein kleines Päckchen von ihrem Schreibtisch und verließ ihr Zimmer. Auf der Treppe kam ihr Elrond entgegen, voll bepackt.
„Was ist das denn alles?“ fragte Liselle ihn neugierig.
„Deine Ausrüstung. Wo soll ich die Sachen hinbringen?“
„Das soll ich alles schleppen? Ich bin doch kein Grautier!“ rief Liselle ungläubig aus.
„Es sieht jetzt mehr aus als es eigentlich ist. Wo soll ich es denn nun hinbringen?“
„In mein Zimmer, ich bin gleich da,“ sagte Liselle, warf ihm eine Kußhand zu und verschwand in Richtung Küche.

„Maria, ich habe etwas für dich,“ sie hielt der Köchin, die sie neugierig anschaute, das kleine Päckchen hin.
„Oh, aber das ist doch dein Lieblingsstück!“ rief Maria aus und in ihrem Gesicht lag Erstaunen als sie die fein gearbeitete Mantelschließe aus Silber sah.
„Ja, doch ich mag sie nicht mitnehmen. Ich würde mich nur ärgern, wenn ich sie verliere und um in der Schublade zu liegen ist sie zu schade. Ich will, daß du sie trägst,“ erklärte Liselle leise. Ihr wurde allmählich bewußt, was es für sie hieß, Gareth zu verlassen. Sie würde die Menschen, die sie liebte, eine lange Zeit nicht sehen.
„Ach, meine Kleine, du bist viel zu schnell groß geworden,“ seufzte Maria, nahm sie in den Arm und drückte sie fest. „Versprich mir, daß du auf dich aufpaßt und keinen Blödsinn veranstaltest.“
„Werde ich Maria. Außerdem sind da ja noch diese beiden Kerle, die werden schon auf uns aufpassen,“ versicherte Liselle der Köchin, die für sie so etwas wie eine zweite Mutter war. „Ich werde dich vermissen, schließlich backt niemand so gute Kuchen wie du.“
„Dann mußt du wohl oder übel mal wieder vorbei schauen wenn du meinen Kuchen haben willst,“ Maria mußte lachen. „Und jetzt mach dich aus meiner Küche, ich muß das Abendessen vorbereiten. Oder möchtest du das zum Abschied machen?“
„Nein, nein,“ wehrte Liselle ebenfalls lachend ab. „Für die Art von Experimenten mag ich meine Familie dann doch etwas zu gerne.“
„Hast du denn schon gepackt?“ wollte Maria wissen.
„Nein, das muß ich ja auch noch,“ Liselle verzog das Gesicht bei dem Gedanken, was Elrond da wohl alles angeschleppt hatte.
„Nimm das hier mit,“ Maria reichte ihr eine kleine Dose mit ihrem Lieblingstee. „Und jetzt husch, husch. Raus hier.“
„Oh danke,“ Liselle nahm die Dose an sich und ließ sich lachend aus der Küche scheuchen.

„So, da bin ich wieder,“ Liselle ließ ihren Blick über Elronds Einkäufe wandern und stellte die Dose mit dem Tee auf den Schreibtisch. „Was machst du da eigentlich?“
„Deinen Rucksack packen“ erwiderte er und fuhr fort damit, wahllos Kleider aus ihrem Schrank in den Rucksack zu stopfen.
„Was soll ich denn mit drei Unterkleidern? Und das Seidenkleid werde ich sicherlich auch nicht mitnehmen, das ist viel zu empfindlich,“ Liselle schaute ihn verständnislos an.
„Ist doch nur ein Test, damit du weißt, wie schwer es ist,“ meinte er und hielt ihr den Rucksack hin. „Schlüpf in die Träger und setz ihn mal auf.“
„Hmm, gar nicht so schwer, wie ich gedacht habe,“ Liselle rückte den Rucksack auf ihrem Rücken zurecht.
„Warte, da kommt ja noch was drauf,“ Elrond packte den zusammen gerollten Schlafsack oben auf den Rucksack und befestigte ihn. „Und nun die Umhängetasche.“
Er hängte ihr die Tasche um, befestigte den Waffengurt samt Wolfsmesser und Lederbeutelchen und packte zu guter Letzt noch zwei Gegenstände, die Liselle aus den Augenwinkeln nicht erkennen konnte, auf den Schlafsack. Jetzt ging Liselle merklich in die Knie.
„Uff, nimm mir all das Zeug mal wieder ab!“ stöhnte Liselle. Als Elrond den Rucksack auf den Boden stellte, musterte Liselle die beiden Gegenstände auf dem Schlafsack und ihr Gesicht verfinsterte sich.
„Was ist das da?“ anklagend richtete sie ihren Zeigefinger auf eine mit Nieten beschlagene Lederweste.
„Ach das. Nun es wird Krötenhaut genannt und das ist eine leichte Lederrüstung,“ belehrte Elrond sie gelassen.
„Was soll ich damit?“
„Am besten Anziehen.“
„Wie bitte? Du glaubst doch nicht allen Ernstes, daß ich mit diesem Ding rumlaufen werde?“
„Doch, du wirst sie anziehen.“
„Aber mit Sicherheit nicht,“ Liselles Ton wurde merklich lauter.
„Du wirst sie tragen,“ wiederholte Elrond fest.
„Das häßliche Ding werde ich nicht anziehen!“ fauchte Liselle.
„Was wirst du nicht anziehen?“ erkundigte sich Zoe, die das Geschrei wohl angelockt haben mußte, neugierig.
„Diese Krötenhaut da,“ Liselle betonte das Wort verächtlich.
„Meine Güte, das ist aber wirklich häßlich. Wozu soll das denn gut sein?“ kritisch beäugte Zoe den Stein des Anstoßes.
„Das ist eine leichte Lederrüstung, die ich für Liselle gekauft habe und ...“
„Und die du selber tragen kannst. Nur über meine Leiche zieh ich das an!“
„Würde ich auch nicht machen, das Ding sieht unbequem aus,“ pflichtete Zoe ihrer Freundin bei.
„Siehst du, Zoe würde so etwas auch nicht anziehen,“ triumphierte Liselle. „Wenn sie keine trägt, trag ich auch keine!“
„Dann kriegt sie eben so lange meine, bis wir ihr eine eigene kaufen können,“ verkündete Elrond gelassen.
„Ich zieh so etwas nicht an!“ riefen beide Mädchen wie aus einem Mund.
„Ihr werdet,“ sagte Elrond ruhig und verließ das Zimmer. Liselle und Zoe schickten ihm böse Blicke hinter her.

Nach dem Abendessen, während dessen sie Elrond keines Blickes gewürdigt hatte, ging Liselle nach oben um zu packen. Sie räumte die Kleider, die Elrond lieblos in den Rucksack gestopft hatte, wieder ordentlich zurück in den Schrank bevor sie sorgfältig Unterwäsche, Kleidung zum Wechseln und ein Kleid für offizielle Zwecke, das gut aussah, sich aber problemlos transportieren ließ, auswählte und ordentlich in den Rucksack packte. Auch ihre geliebten schwarzen Stiefel packte sie ein, man konnte ja nie wissen, wann sie diese einmal brauchen würde. Das grüne Kleid aus leichtem Samt mit dem schwarzen Mieder wanderte ebenfalls ordentlich zusammen gelegt in den Rucksack. Liselle trat an ihre Kommode und zog die Schublade mit ihrem Schmuck auf. Sie nahm ein kleines Samtbeutelchen und verstaute darin ihre Lieblingsohrringe sowie das passende Collier dafür. Die Ohrringe waren aus Silber und sahen aus wie kleine Wassertropfen. Auch das dazugehörige Collier hatte einen silbernen Tropfen als Anhänger und es paßte hervorragend zu ihrem grünen Kleid.
„Dezent und klassisch,“ murmelte Liselle und steckte das Samtbeutelchen in ihren Rucksack. Nachdem sie alles in den verschiedenen Taschen und Beuteln verstaut hatte, stellte sie ihr Gepäck neben den Schrank, setzte sich an ihren Schreibtisch und begann, einen Brief an ihre Freundin Hesindiane zu schreiben.

Meine liebe Hesindiane,

ich hätte eine Bitte an Dich, ich benötige einen Gefallen von Dir. Du hast bestimmt schon die Gerüchte um meine Entführung gehört. In aller Kürze: ja, ich bin in der Tat entführt worden und das mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Hochstettens. Leider kann ich es nicht beweisen, da meine „Retter“ die angeheuerten Entführer kurzerhand umgebracht haben. Wenn Du kannst, ohne Dich dabei selber in Gefahr zu bringen, dann versuch bitte, etwas über diese Familie in Erfahrung zu bringen, womit man sie diskreditieren könnte.
Ich werde morgen früh abreisen und es tut mir leid, daß ich mich nicht persönlich von Dir verabschieden kann. Mein Vater hält es für das Beste, wenn ich die Stadt verlasse damit dergleichen nicht noch einmal passieren kann. Bestimmt hast Du auch von der geplatzten Verlobung gehört. Nun ja, der Verlobte und ich sind jetzt nach einigen Irrungen und Wirrungen doch ein Paar.
Wenn es Dir gelingt, etwas heraus zu finden, dann laß meinem Vater die Informationen diskret zukommen. Ich werde Dich vermissen, meine Liebe.

Deine Velvet

Sie versiegelte den Brief und gab ihn James. Danach ging sie in Zoes Zimmer um zu schauen, wie weit diese mit ihren Reisevorbereitungen gekommen war und die beiden redeten noch ein wenig über ihre bevorstehende Reise bevor Liselle wieder in ihrem Zimmer verschwand. Als sie im Bett lag konnte sie vor lauter Aufregung erst nicht einschlafen, bis die Müdigkeit sie doch übermannte.