Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Sonntag, Mai 22, 2005

Viertes Abenteuer - Kapitel II (1)

(erster Teil)

29 n. Hal - 6. Tag im Monat des Peraine

„Geh weg, es ist ja noch dunkel draußen!“ knurrte Liselle und zog sich die Decke über den Kopf.
„Möchtest du noch einmal baden bevor wir losgehen? Wenn nicht dann laß ich dich noch eine halbe Stunde schlafen,“ sagte Elrond ruhig.
„Ich muß wirklich jetzt schon aufstehen?“
„Ja, wir müssen um kurz vor sechs da sein.“
„Na gut,“ brummte Liselle, kletterte aus dem Bett und nahm die Kleidung, die sie gestern bereits auf einem Stuhl zurecht gelegt hatte. „Ich bin dann baden.“

Das Bad war bereits geheizt worden und wohlig streckte sich Liselle in dem angenehm warmen Wasser. Plötzlich ergoß sich ein Strahl eiskaltes Wasser auf ihr Haupt.
„Was fällt dir ein!“ fauchte sie wütend.
„Gewöhn dich schon einmal daran, ab jetzt wird es nur noch kaltes Wasser zum Waschen geben,“ Elrond grinste bis über beide Ohren.
„Mach, daß du mir aus den Augen kommst!“ knurrte Liselle und warf einen Schwamm nach ihm, dem er allerdings geschickt auswich. „Raus hier!“
Durch den kalten Guß war Liselle das Vergnügen, sich in warmen Wasser zu aalen, gründlich vergangen und so beeilte sie sich. Nachdem sie in ihre schwarze Stoffhose geschlüpft war und ihre weinrote Bluse zugeknöpft hatte ging sie barfuß in ihr Zimmer. Sie war gerade dabei, warme Socken über ihre Füße zu streifen als Elrond das Zimmer betrat.
„Und, hast du dich jetzt entschlossen, die Krötenhaut zu tragen?“ fragte er und schaute sie durchdringend an.
„Ich zieh das nicht an.“
„Warum denn nicht? Es ist doch nur zu deinem Schutz,“ er trat auf sie zu und deutete über die Narbe, die quer über sein linkes Auge verlief. „Oder möchtest du irgendwann auch so aussehen wie ich?“
„Ach so, das Ding trägt man also vor dem Gesicht,“ erwiderte Liselle spitz.
„Hör mir zu,“ Elrond packte seine trotzige Liebste an den Schultern. „Ich habe bereits einmal ein Mädchen, daß ich geliebt habe, verloren. Hätte sie so eine Lederrüstung getragen, dann würde sie heute noch leben. Wenn sie dir zu schwer wird dann kannst du sie ausziehen, aber trag sie damit du dich daran gewöhnst.“
„Und ich darf sie ausziehen wenn ich nicht mehr mag?“ fragte Liselle schüchtern, sie hatte das kurze Aufblitzen von Schmerz in Elronds Augen gesehen als er ihr dies sagte.
„Darfst du. Wenn du nicht mehr kannst,“ wiederholte Elrond sanft. „Ich will dich nicht verlieren, deswegen will ich, daß du die Krötenhaut trägst.“
Liselle fielen keine stichhaltigen Argumente mehr ein, die dagegen sprachen, und sie konnte verstehen, warum er so darauf bestand. Also gab sie nach, auch wenn ihr der Gedanke, in so etwas Unbequemen herum zu laufen, nicht behagte.
„Dann hilf mir wenigstens mal da rein,“ verlangte sie und hielt ihm die verhaßte Lederweste hin.
„Moment, die kannst du nicht einfach so über deinem Hemd anziehen.“
„Warum denn nicht?“
„Weil du dir sonst alles wundscheuerst. Da gehört wattierte Unterkleidung drunter,“ er hielt etwas hoch, das aus gefüttertem Stoff gefertigt war und auch nicht bequemer als die Krötenhaut aussah.
„Wenn es denn sein muß,“ seufzte Liselle und streckte die Arme aus. Elrond half ihr in die Unterkleidung und in die Krötenhaut, zog die Schnallen fest und überprüfte den Sitz.
„Du meine Güte, ich fühle mich wie eine Schildkröte,“ stöhnte Liselle. „Darin kann ich mich ja gar nicht bewegen und ich komme mir albern vor.“
„Das kommt mit der Zeit, wenn du dich daran gewöhnt hast und das Leder weicher geworden ist,“ beruhigte Elrond Liselle, die sich kritisch im Spiegel beäugte. „Und albern siehst du nicht aus, eher verwegen.“
„Ach, hör auf zu grinsen,“ wider ihren Willen mußte Liselle bei ihrem Anblick ebenfalls grinsen. „Hilf mir lieber mit dem Waffengurt und dem Rucksack.“

Unten in der Halle war bereits die gesamte Familie versammelt so wie ein großer Teil des Personals als sich Liselle die Treppen hinabquälte. Auch Zoe war bereits da und bot einen ähnlichen Anblick wie sie selber. Sie hatte Elronds Lederrüstung an und schaute nicht sehr begeistert drein.
„Darin kann ich mich überhaupt nicht bewegen und ich fühl mich mehr hilflos als geschützt,“ vertraute Zoe ihrer Leidensgenossin an, die nur nickte.
Liselle verabschiedete sich mit den üblichen guten Wünschen und Ratschlägen von ihrer Familie. Von Heral bekam sie zu hören, daß sie das Kämpfen mit dem Rapier nicht vernachlässigen sollte, ihre Mutter gab ihr mit auf den Weg, sich zu benehmen, Lionel und seine Frau hielten ihr einen Vortrag über Tugend und ihr Vater ermahnte sie, auf Andra zu hören. Liselle warf noch einen letzten Blick zurück und winkte ihren Lieben zu. Das hieß, sie versuchte zu winken, doch dank der eingeschränkten Bewegungsfähigkeit blieb es auch bei dem Versuch. Jetzt wurde es ernst für sie und sie wußte, sie würde ihre Familie lange Zeit nicht wiedersehen. Der Gedanke stimmte sie ein wenig traurig, doch ihre Freude und Neugier auf all die neuen Plätze und Städte, die sie kennenlernen würde, verdrängte ihre Traurigkeit rasch.

"Dieses Ding macht mich wahnsinnig und mir ist jetzt schon warm," zeterte Zoe als die Gefährten an der Taverne, von der aus die Karawane losziehen wollte, angekommen waren.
"Mir geht es auch nicht besser, ich frag mich warum ich heute morgen überhaupt gebadet habe," stimmte Liselle abwesend zu, sie beobachtete neugierig die Männer, die ihre Wagen zur Abfahrt bereit machten. Andra sprach mit einem hochgewachsenen Mann, der einfache aber robuste Kleidung trug und dessen schulterlanges, blondes Haar im Nacken zusammen gebunden war. Offensichtlich schien er der Verantwortliche zu sein, immer wieder wandten sich die Männer an ihn um dann seine Anweisungen schnell und routiniert auszuführen. Er schaute wiederholt zu Zoe und Liselle, in seinem Blick lag Mißbilligung.
"Überhaupt, schau dir mal diese Kerle an. Die sehen ja richtig wild aus und mit so etwas sollen wir reisen? Wer weiß, was die mit uns machen! Und warum müssen wir unbedingt laufen, wir hätten doch auch mit einer Kutsche fahren können," wetterte Zoe weiter, doch Liselle hörte nur mit einem halben Ohr zu, sie schaute sich fasziniert die Vorbereitungen an.
"Die haben bestimmt schon einiges erlebt," mutmaßte Liselle mit leuchtenden Augen.
"Jede Menge Schlägereien und halblegale Geschäfte würde ich sagen," Zoe redete sich regelrecht in Fahrt.
"Es wäre besser für uns, wenn du mit dem Gezeter aufhören würdest. Damit machst du dich hier nicht gerade sehr beliebt. Ich für meinen Teil würde lieber im Schutze der Karawane nach Angbar reisen als alleine zu laufen," eröffnete Elrond der zeternden Zoe. Der verschlug es sichtlich die Sprache, sie starrte Elrond lediglich mit offenem Mund an.
"Er könnte recht haben, weißt du? Der Karawanenführer schaut uns auch schon ganz mißtrauisch an," gab Liselle Elrond recht. "Die nehmen uns sicherlich nicht mit wenn wir eine Last für sie sind."
Zoe sagte jetzt gar nichts mehr, sie hatten ihr erfolgreich den Wind aus den Segeln genommen. Da beendete Andra ihr Gespräch mit dem Karawanenführer und kam auf sie zu.
"Also, ich hab mit Rajan Tobenje geredet, dem Führer der Karawane. Wir dürfen mit ihnen reisen, solange es kein Gezeter und Gekeife gibt," dabei schaute die Zwergin Zoe durchdringend an. "Haben wir uns verstanden?"
"Ja, ja. Schon gut," murmelte Zoe kleinlaut.
Liselle hatte nur kurz genickt bevor ihre Neugier sie zu den Wagen trieb. Ein wenig schüchtern ging sie die Wagenreihe entlang, betrachtete die Männer neugierig und schaute zu, wie Pferde angeschirrt, Waren aufgeladen und Planen festgezogen wurden. Kurz bevor sie ihre Runde beendet hatte fiel ihr plötzlich eine Axt vor die Füße. Erschrocken sprang sie einen Schritt zurück. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre ihr auf die Füße gefallen. Ein Zwerg mit einem gewaltigen rotblonden Bart sprang von dem Wagen und hob die Axt auf.
"Paß auf deine Füße auf. Wer bist du überhaupt?" brummte er.
"Ich werde Velvet genannt und ich gehöre zu den Gefährten der Zwergin," antwortete Liselle höflich und konnte ihren Blick nicht von dem wehenden Bart des Zwerges wenden.
"Welche Zwergin?" plötzlich schaute er Liselle aufmerksam an.
"Andra, unsere Heilkundige," gab Liselle bereitwillig Auskunft.
"Auch noch eine Heilkundige?," staunte der Zwerg.
"Wie heißt Ihr denn?"
"Oh, entschuldigt bitte. Man nennt mich Grimmbart," stellte sich der Zwerg vor.
"Freut mich, Grimmbart."
"So, so eine Zwergin also und ihr seid Gefährten. Interessant, in der Tat," der Zwerg strahlte über beide Ohren. "Doch jetzt entschuldigt mich, ich muß hier fertig werden. Wir werden uns bestimmt noch auf der Reise unterhalten, da ist ja genug Zeit dafür."
"Sicher, ich wollte Euch auch nicht aufhalten," sagte Liselle höflich und kehrte zu den anderen zurück.