Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Dienstag, Mai 24, 2005

Viertes Abenteuer - Kapitel III

29 n. Hal - 10. Tag im Monat des Peraine

Es war Nachmittag, als die Karawane eine kleine Herberge zwei Meilen vor Angbar erreichte. Hier würden sie über Nacht bleiben bevor man morgen in aller Frühe zum Angbarer Markt weiterzog. Liselle stieg von Grimmbarts Wagen und streckte sich.
„Na, freuste dich auf ein Bad mit warmen Wasser?“ zog Grimmbart sie auf.
„Oh ja, das ist eine gute Idee und das von einem Zwergen,“ Liselle streckte ihm die Zunge raus und Grimmbart lachte.
„Wir können alle ein Bad vertragen,“ fügte Sven, der mittlerweile hinzugetreten, an. „Doch wir werden den Damen den Vortritt lassen.“
„Danke, sehr gütig von Euch,“ Liselle knickste übertrieben. „Wenn mich die Herrschaften dann bitte entschuldigen wollen, es wartet ein Bad auf mich.“
„Paß auf, daß du darin nicht einschläfst, wir wollen auch noch,“ Sven lachte gutmütig.
„Ich werde mir jemanden mitnehmen, damit das nicht passiert,“ Liselle zwinkerte.
„Schade, es wird sich dabei wohl nicht um meine Person handeln. Doch sehen wir uns nachher noch? Wir werden ja morgen in aller Frühe nach Angbar ziehen, da wirst du wohl noch schlafen,“ erkundigte sich Sven.
„Ja, nach dem Baden treffen wir uns dann im Schankraum,“ sagte Liselle zu. Dann ging sie Elrond suchen, der bereits ein Doppelzimmer für sie beide reserviert hatte, brachte mit ihm ihre Besitztümer nach oben und zog ihn dann ins Bad. Sie räumte es nur sehr widerwillig, doch auch andere wollten es noch benutzen und sie mochte es auch nicht den ganzen Abend für sich beschlagnahmen.
„Was machst du denn jetzt?“ fragte Elrond, als die beiden wieder in ihrem Zimmer waren und Liselle begann, Feder und Papier aus ihrer Umhängetasche zu kramen.
„Einen Brief schreiben.“
„Oh, dann will ich dich mal nicht dabei stören,“ Elrond küßte sie. „Ich gehe dann schon einmal nach unten. Kommst du dann nach?“
„Ja, ich wollte nur kurz meinen Eltern schreiben,“ erwiderte Liselle und zündete ein paar Kerzen an, es fing bereits an zu dämmern. Elrond verließ das Zimmer, leise die Tür hinter sich zu ziehend.

Liebe Mutter und lieber Vater,

es ist jetzt fünf Tage her, daß ich mit der Karawane aufgebrochen bin. Fünf Tage lang den ganzen Tag laufen und mich schmerzen die Füße immer noch. Auch wenn Elrond sie mir jeden Abend massiert hat, Blasen gelaufen habe ich mir trotzdem furchtbar viele. Die Männer, die zum Schutz der Karawane angeheuert worden sind, waren alle sehr nett. Ich bin ihnen bestimmt mit meinen vielen neugierigen Fragen auf die Nerven gefallen aber sie haben mir trotzdem von ihren Abenteuern und den Orten, die sie schon gesehen haben, erzählt und mir Ratschläge gegeben, wie ich mich am besten an diese fürchterliche Lederrüstung gewöhnen kann.

Doch laßt mich von vorne erzählen. Der erste Tag war der schlimmste, ich hätte nie geglaubt, daß Laufen so anstrengend sein kann. Andra hatte mir zwar einen Platz auf einem der Wagen besorgt, aber ich habe ihn Zoe überlassen weil sie viel mehr unter der ungewohnten Anstrengung gelitten hat als ich. Abends war ich dann so müde, daß ich direkt nach dem Essen einfach eingeschlafen bin.

Woran ich mich gar nicht gewöhnen mag ist das frühe Aufstehen. Wir sind immer vor Anbruch des Tages aufgebrochen. Unter den Männern der Karawane befindet sich auch ein Zwerg mit einem langen, rotblonden Bart, auf den er wohl sehr stolz zu sein scheint. Anders konnte ich mir seine entsetzte Reaktion auf meinen scherzhaften Vorschlag, doch ein paar hübsche Bänder hineinzuflechten, nicht erklären.

Zwerge sind wahrlich ein wunderliches Volk. Sie scheinen so brummig und eigenbrötlerisch, doch sie haben ein großes Herz. Von Grimmbart habe ich viel über die Angroschim, wie sie sich selber nennen, erfahren. Bei ihnen gibt es wesentlich mehr Männer als Frauen und oft kommen männliche Zwillinge oder gar Vierlinge vor, doch von weiblichen Zwillingen hat man noch nie gehört. Frauen jedoch sind bei ihnen hoch angesehen und oft sind sie die eigentlichen Machthaber. Sie schätzen ihre Frauen sehr hoch, doch ihre Kinder behandeln sie wie Schätze und die kleinen Angroschim besitzen die Freiheit, jeglichen Unsinn zu machen ohne drastische Strafen für ihr Treiben befürchten zu müssen. Da Geburten bei ihnen viel seltener sind als bei uns Menschen, wird jede Geburt mit einem rauschenden Fest gefeiert.

Ich wünschte, ich könnte die Geschichten ebenso gut erzählen wie ich sie von Grimmbart gehört habe. Er hat mir meinen Scherz mit den Schmuckbändern in seinem Bart wohl verziehen und mir sogar seinen Wagen überlassen als in der dritten Nacht ein fürchterliches Unwetter über uns hereinbrach. Ich wollte mich bei ihm erkenntlich zeigen, aber Münzen erschienen mir dafür nicht passend, er hätte sie wohl auch nicht angenommen. Er raucht gerne Pfeife, also habe ich mir Elronds Schnitzmesser ausgeliehen, seine Pfeife untersucht um herauszufinden, worauf es bei der Fertigung ankommt und bat Grimmbart ein paar Feilen. Doch mit seinem Werkzeug ist er sehr eigen, ich durfte es zwar benutzen, doch nur wenn ich auf damit auf seinem Wagen bliebe. So habe ich also den ganzen vierten Tag geschnitzt und gefeilt während Grimmbart mir die Geschichte seines Volkes näher brachte. Er zeigte sich richtig begeistert, daß ich des Rogolan mächtig bin und wir haben uns die ganze Zeit in seiner Sprache unterhalten. Er versteht sich wirklich darauf, einen mit seinen Schilderungen über den Jahrhunderte währenden Kampf der Angroschim gegen den selbsternannten Drachengott Pyrdacor in seinen Bann zu ziehen. Anscheinend hat ihn meine Dankesgeste der selbst gefertigten Pfeife gerührt, er lud mich auch für den letzten Tag ein, auf seinem Wagen mit zu fahren. Elrond war darüber nicht sehr begeistert. Grimmbart erzählte mir eine Geschichte, die sich vor ein paar hundert Jahren auf der Insel im Angbarer See zugetragen haben soll. Eine spannende Geschichte über eine Region, die das vorläufige Ziel der Reise ist, ist gleich noch einmal so interessant.

Wir sind jetzt in einem Gasthaus ungefähr zwei Meilen vor Angbar, wo wir Nachmittags angekommen sind. Ich habe endlich wieder ein warmes Bad genießen können und gleich werde ich in den Schankraum zu den anderen gehen. Die Männer der Karawane bleiben die Nacht auch noch hier und möchte mich gerne von ihnen verabschieden. Ich glaube, sie bedauern ein wenig, daß sich unsere Wege hier trennen werden. Als "Neulinge auf der Straße" boten wir fürwahr genug Anlaß für gutmütige Scherze. Rajan, der Anführer der Karawane, gestand mir sogar, daß er überrascht sei, daß wir die ungewohnten Strapazen so klaglos ertragen hätten. Bislang habe er nur schlechte Erfahrungen mit frisch gebackenen Reisenden gemacht. Auch ich bedauere, ohne die Karawane weiter reisen zu müssen, die Männer waren freundlich und haben mir auf meine neugierigen Fragen nach ihren Erlebnissen bereitwillig ihre Abenteuer erzählt. Wahrlich aufregende und manchmal auch sehr traurige Geschichten.

Morgen werden wir die letzten zwei Meilen nach Angbar laufen. Ich freue mich darauf, die Stadt zu erkunden und auch darauf, Andras Bruder kennen zu lernen, er besitzt eine Taverne in Angbar und lebt dort schon eine Weile. Macht Euch bitte keine Sorgen um mich, Ihr habt mich in gute Hände gegeben. Ich vermisse Euch und meine Brüder. Richtet den beiden bitte auch meine lieben Grüße aus.

In Liebe, Eure Tochter
Liselle

Liselle betrachtete die von ihr geschriebenen Zeilen noch einmal nachdenklich im Schein der Kerzen. Mittlerweile war es draußen dunkel geworden. Sie ließ die Tinte trocknen bevor sie den Brief sorgfältig faltete und mit Siegelwachs verschloß. Dann verstaute sie ihn in ihrer Umhängetasche, sie würde ihn morgen in Angbar wegschicken. Sie löschte die Kerzen und verließ das Zimmer um im Schankraum mit den anderen noch einen Becher Wein zum Abschied zu trinken.