Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Mittwoch, Mai 25, 2005

Viertes Abenteuer - Kapitel IV (1)

(erster Teil)

29 n. Hal - 12. Tag im Monat des Peraine

Obwohl es draußen noch dunkel war, verriet das leise Zwitschern der Vögel, daß die Dämmerung nicht mehr fern war. Doch Liselle nahm die kleinen Boten des herannahenden Tages nicht wahr, denn ihr Kopf schmerzte entsetzlich und ihr war übel. Vorsichtig setzte sie sich auf, doch das brachte ihr keine Linderung der Qual. Im Gegenteil, die Übelkeit wurde stärker und Liselle schlug die Hände vor den Mund, sprang ungeachtet des wüsten Pochens hinter ihren Schläfen aus dem Bett und stürzte zum Waschtisch. Geräuschvoll erbrach sie sich in die Waschschüssel bis ihr Magen schmerzte und ihr die Kehle brannte.
„Wo bin ich hier eigentlich? Und wieso ist es dunkel draußen?“ wunderte sie sich und ihr Blick fiel in den Spiegel. Was er ihr zeigte, gefiel ihr überhaupt nicht. Aus dem dicken Zopf, zu dem sie ihre Haare gestern gebunden hatte, lösten sich Strähnen und sie war leichenblaß. Allmählich kam ihre Erinnerung zurück. Sie war mit Elrond gestern um die Mittagszeit vorgegangen zum „Goldenen Esel“, der Taverne Amboschs, Andras Bruder. Elrond kannte ihn bereits, er war auf seinem Weg von Thorwal nach Gareth einmal hier gewesen. Ambosch hatte den Schützling seiner Schwester Andra sofort wieder erkannt und als Elrond ihm Liselle, seine Verlobte, vorgestellt hatte, milderte sich auch der mißtrauische und ablehnende Ausdruck in seinen Augen. Er hatte Elrond und Liselle an einen Tisch gebeten und ihnen zwei große Becher hingestellt.
„Jetzt trinken wir erst einmal einen Begrüßungsschnaps,“ hatte Ambosch verkündet und die Becher mit einer goldschimmernden Flüssigkeit gefüllt, seinen Becher erhoben und ihnen zugeprostet. Liselle hatte ratlos zu Elrond geschaut, sie wußte nicht, wie sie sich nun verhalten sollte. Der hatte seinen Becher erhoben, ihr zugenickt und ihn in einem Zug ausgetrunken wie Ambosch auch. Liselle war nichts anderes übrig geblieben, als es ihnen gleichzutun. Der Schnaps hatte sich wie flüssiges Feuer ihre Kehle hinunter gebrannt und Liselle schossen die Tränen in die Augen während sie gleichzeitig heftig husten mußte.
„Menschen,“ hatte Ambosch ausgerufen, gegrinst und ihre Becher wieder gefüllt.
„Aber nur noch den einen,“ Elrond hatte ebenso husten müssen wie sie auch. Auch als sie den zweiten Becher in einem Zug geleert hatten, fing er wieder an zu husten. Doch Liselle, vorgewarnt durch den ersten Becher, hatte sich besser im Griff gehabt und weder gehustet noch das Gesicht verzogen, während sich das flüssige Feuer erneut einen Weg ihre Kehle hinunter gebahnt hatte. Ihre Selbstbeherrschung hatte ihr einen bewundernden Blick des Zwerges eingebracht, der ihre Becher ein weiteres Mal gefüllt hatte bevor sie auch nur daran denken konnten, zu protestieren.
„Dasch isch aba dann der lesse!“ man hatte Elronds genuscheltem Protest sehr deutlich angehört, daß der Zwergenschnaps bei ihm Wirkung zeigte. Und wieder hatten sie den Schnaps geleert. Das war dann auch das letzte, woran Liselle sich einigermaßen klar erinnern konnte. Was danach passiert und wie sie in dieses Zimmer gekommen war, entzog sich ihrem Erinnerungsvermögen wie Aale den Händen eines Fischers. Sie öffnete die Tür des Zimmers und schaute auf den Gang, es sah so aus, als wenn sie in einem Gasthaus wäre. Sie fühlte sich immer noch elend, als sie die Treppe in den Schankraum hinunter ging und ihr Körper fühlte sich an, als ob sie auf großen Steinbrocken geschlafen hätte.

„Mädchen, du siehst aber gar nicht gut aus,“ erklang eine dunkle, brummige Stimme. Liselle schaute nach unten und erkannte Ambosch.
„Ich fühle mich auch alles andere als gut. Hast du Andra bereits gesehen?“ fragte sie, das schmerzhafte Pochen ihrer Schläfen mehr schlecht als recht ignorierend.
„Die ist in ihrem Zimmer, direkt gegenüber von deinem,“ mit einem Schmunzeln auf seinem Gesicht gab Ambosch die gewünschte Auskunft.
„Danke, wir sehen uns nachher sicherlich noch,“ Liselle drehte sich um und ging die Treppe wieder hoch.
„Andra? Ich bin es, Velvet! Bist du wach?“ sie klopfte an die Tür, die gegenüber ihres eigenen Zimmers lag. Sie hörte, wie Andra sich der Türe näherte. Als die Zwergin die Tür öffnete, hingen ihr die langen weißen Haare ins Gesicht und sie kniff die Augen zusammen.
„Was ist denn?“ murmelte sie verschlafen.
„Mir ist elendiglich flau, mir ist übel und mein Kopf fühlt sich an, als würde ein kleines Männlein mit einem Hammer darin herum wüten,“ Liselle schaute Andra flehentlich an. „Hast du nicht irgendein Mittel dafür?“
„Warte einen Moment,“ brummte Andra, wühlte kurz in ihrem Rucksack und kehrte mit zwei kleinen, unscheinbaren Tonphiolen zurück. „Hast du dich schon übergeben?“
„Oh ja, wie noch nie in meinem Leben zuvor,“ stöhnte Liselle, während sie begleitet von Andra in ihr eigenes Zimmer ging und das Fenster aufriß.
„Was ist denn hier los?“ stöhnte Elrond, umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen und schaute Andra aus rotgeränderten Augen an.
„Hat er sich schon übergeben?“ verhörte Andra Liselle.
„Nein, hab ich nicht. Will ich auch nicht!“
„Mach das, ist besser. Sonst wirkt der Trank nicht!“ wies Andra ihn an. Elrond quälte sich aus dem Bett und Liselle flüchtete auf den Gang, wo sie abwartete, bis die Geräusche aus dem Zimmer verklungen waren.
„So, ihr beide schlaft am besten noch den Rest von eurem Rausch aus. Und ich geh jetzt auch wieder schlafen. Du hast übrigens noch deine Lederrüstung an, Liselle. Was in Angroschs Namen hat euch bloß geritten, mit Ambosch seinen Selbstgebrannten zu trinken?“ kopfschüttelnd verschwand Andra wieder in ihrem eigenen Zimmer und schloß die Tür.
Liselle hatte den Inhalt ihrer Tonphiole in einem Zug geleert und kroch wieder ins Bett. Es war ihr egal, daß sie die Krötenhaut noch trug. Ihr tat ohnehin jeder Knochen weh und sie wollte nur noch schlafen.

Als Liselle erneut die Augen aufschlug, war es bereits hell draußen und das Geräusch von hektischem Treiben auf der Straße drang durch das geöffnete Fenster. Sie versuchte, sich zu strecken, um ihrem schmerzenden Körper ein wenig Linderung zu verschaffen. Doch die Krötenhaut schränkte ihre Bewegungsfreiheit ein, also stand sie auf, löste die Schnallen und quälte sich danach umständlich aus der wattierten Unterkleidung. Ihre Kopfschmerzen und die Übelkeit waren verschwunden. Sie beschloß, Elrond schlafen zu lassen und suchte leise frische Kleidung und die Seife aus ihrem Rucksack. Dann verließ sie das Zimmer und ging nach unten in den Schankraum.
„Meister Ambosch, habt Ihr ein Badehaus hier?“ sprach sie den Wirt auf Rogolan an, der damit beschäftigt war, seinen Tresen zu wischen.
„Du sprichst Rogolan?“ erstaunt hielt der Zwerg in seiner Arbeit inne. „Sehr erstaunlich. Verträgst meinen Schnaps besser als dein Zukünftiger und sprichst dazu noch meine Sprache! Und das Bad befindet sich hinten auf dem Hof. Soll ich das Wasser heizen lassen?“
„Nein danke, ich möchte so schnell wie möglich wieder sauber werden,“ Liselle lächelte den Zwerg an, in dessen Blick nun nichts mehr von dem Mißtrauen lag, das sie gestern noch wahrgenommen hatte.
„Dann wasch dich mal. Soll ich schon mal was leichtes zum Frühstück für dich vorbereiten lassen?“
„Oh, das wäre wirklich liebenswert von Euch,“ Liselle setzte Ambosch ihrem strahlendsten Lächeln aus und der Zwerg zwinkerte ihr zu.

Das kalte Wasser hatte Liselle vollends munter gemacht und gut gelaunt kam sie aus dem Bad spaziert. Im Schankraum sah sie Elrond an einem Tisch sitzen, ihm ging es wohl noch nicht so gut wie ihr.
„Morgen, mein Lieber,“ sagte sie gut gelaunt und küßte ihn. „Uff, geh dich waschen! Hier hast du die Seife!“
„Jetzt? Muß das sein?“ brummte er.
„Ja, allerdings jetzt!“ gab Liselle energisch zurück und stupste ihn an.
„Ist ja gut, ich geh ja schon,“ er nahm die Seife, die Liselle ihm unter die Nase gehalten hatte, und verschwand murmelnd in Richtung Badehaus.
„Hier Mädchen, iß etwas Ordentliches,“ Ambosch stellte kräftiges Brot, leichten Käse, ein wenig Wurst und Obst sowie einen Becher Tee vor ihr auf den Tisch.
„Habt Dank,“ sagte Liselle und fiel wie ein ausgehungerter Wolf über das Frühstück her, von dem dann auch nicht mehr viel übrig war, als Elrond eine Viertelstunde später ebenfalls frisch gewaschen aus dem Badehaus zurückkehrte. Er setzte sich zu ihr und Ambosch brachte ihm ein ebenso üppiges Frühstück wie kurz zuvor Liselle. Da betrat Zoe den Schankraum, schaute sich kurz um und steuerte dann zielstrebig auf den Tisch der beiden zu.
„Guten Morgen ihr zwei. Weilt ihr auch wieder unter den Lebenden?“ in Zoes Stimme lag leichter Spott.
„Danke dir, mir geht es wieder gut,“ antwortete Liselle und lehnte sich zurück.
„Ihr habt ja auch lange genug geschlafen.“
„In der Tat, dieses Zeug, welches Ambosch uns da eingeschenkt hat, hat es wirklich in sich,“ bei dem Gedanken daran schüttelte sich Liselle. „Wieso ist denn Fayt nicht bei dir?“
„Genau darüber wollte ich mit dir reden, deswegen bin ich hier,“ der Ärger in Zoes Stimme war nicht zu überhören. „Aber nicht hier.“
„Dann warte einen Moment, ich muß nur eben etwas aus meinem Zimmer holen,“ Liselle stand auf. „Wir treffen uns gleich im Hof.“