Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Sonntag, Mai 29, 2005

Viertes Abenteuer - Kapitel IV (5)

(fünfter Teil)

Es roch nach muffigem Stroh in dem Kerker, der im Keller unter der Wachstube lag. Die niedrige Decke war vom Ruß der Fackeln, die in Halterungen entlang der Wände steckten, geschwärzt und die grob aus Fels gehauenen Mauersteine glitzerten freucht.
„Die letzte Zelle auf der rechten Seite, dort findet ihr ihn. Ich werde hier auf Euch warten,“ der junge Gardist namens Darian deutete mit der Hand den Gang hinunter und Liselle schritt eilig zu der von ihm angegebenen Zelle.
„Kann man euch beide denn wirklich keine fünf Minuten aus den Augen lassen?“ fragte sie spitz.
„Velvet!“ Elrond sprang auf und trat an die vergitterte Tür. „Wie hast du mich gefunden?“
„Ich bin einfach dahin gegangen wo ich dich bei unserem ersten Zusammentreffen schon am liebsten hingebracht hätte,“ erwiderte Liselle trocken und lächelte bei der Erinnerung an diese Begegnung sanft.
„Du mußt mir glauben, ich bin unschuldig,“ versicherte er und Wut über die Art und Weise, wie man ihn behandelte, glitzerte in seinen Augen.
„Warum sitzt du dann hier? Das ist ja wohl kaum ein Aufenthaltsort für Unschuldige.“
„Nun ja, ich habe ihn wirklich geschlagen. Doch die Sache war nicht so, wie sie von den Freunden dieses Bengels dargestellt wird,“ er nahm Liselles Hände durch das Gitter in die seinen und schaute ihr tief in die Augen. „Glaubst du mir das?“
„Daß an dieser Geschichte etwas faul ist, sehe ich auch. Erzähl mir, was passiert ist,“ bat sie.
„Ich wollte zum Angbarer See gehen, nachdem ich Fayt ...“ er zögerte und wich Liselles Blick schuldbewußt aus.
„Nachdem du Fayt im Bordell Torhaus abgeliefert hast,“ vervollständigte Liselle seinen Satz und fragte in wesentlich schärferem Ton als beabsichtigt. „Was im Namen der Zwölf Götter hast du dir dabei bloß gedacht?“
„Sei nicht böse auf ihn, das war einzig und alleine meine Idee,“ erklang Fayts Stimme hinter ihr. Liselle drehte sich überrascht um, Fayt saß in der gegenüberliegenden Zelle.
„Ach, deswegen hat er auch für dich bezahlt. Hast du etwa deinen Geldbeutel vergessen?“ fragte Liselle sarkastisch und schaute Fayt durch die Gitterstäbe giftig an. „Mit dir habe ich auch noch ein Wörtchen oder zwei zu sprechen, keine Sorge.“
„Aber erst, wenn ich ihm die Leviten gelesen habe!“ warf Zoe ein und warf Fayt ebenfalls böse Blicke zu.
„Meinetwegen. Jetzt will ich aber wissen, warum genau du hier sitzt,“ Liselle drehte sich wieder zu Elrond um. „Was ist also passiert, nachdem du Fayt ... abgeliefert hast?“
„Wie ich sagte, ich wollte zum Angbarer See, ein wenig dort spazieren gehen. Ich war auch schon fast dort, da rief ein junger Schnösel mir Beleidigungen nach. Das hat mich zwar getroffen, aber da habe ich es noch geschafft, ruhig zu bleiben. Erst als sie anfingen, meine Mutter zu beleidigen, da war es mit meiner Gelassenheit vorbei und ich habe vollends die Beherrschung verloren. Als ich wieder einigermaßen bei mir war, hielten mich drei Gardisten fest und brachten mich hier her. Die jungen Männer, die diesen Bengel begleitet haben, stritten vehement ab, daß er mich überhaupt angesprochen habe,“ berichtete Elrond so sachlich wie es ihm möglich war.
„Der jungen Mann, den du da als Schnösel bezeichnest, ist der Sohn des Hauptmannes und im Moment kämpft er um sein Leben, du hast ihn übel zugerichtet“ Liselle schüttelte den Kopf. „Hoffen wir, daß er es überlebt, ansonsten sieht es sehr schlecht für dich aus. Du bist hier ein Fremder, wie wir auch, und du hast den Sohn eines angesehenen Bewohners dieser Stadt attackiert.“
„Was machen wir denn jetzt? Sie haben mich doch schließlich provoziert,“ verteidigte sich Elrond und unwillkürlich verstärkte er seinen Griff um Liselles Hände.
„Ich glaube dir ja. Deswegen wollte ich mit dir sprechen und deine Seite der Ereignisse hören, ich kann mir nicht vorstellen, daß du jemanden einfach aus einer Laune heraus fast zu Tode prügelst. Es ist nur fraglich, ob der Richter dir glauben wird. Selbst wenn ich mit meinem Namen für dich vor Gericht bürge, wird es dir hier nicht viel bringen. In Gareth wäre das etwas ganz anderes,“ seufzte sie. „Wenn wir nicht beweisen können, daß du provoziert wurdest und somit sehr wohl einen Grund hattest, wirst du kaum mit einem milden Richterspruch rechnen dürfen.“
„Ich wollte das doch alles nicht!“ rief Elrond aus. „Gibt es denn nichts, was wir tun können?“
„Du kannst jetzt gar nichts tun außer hier bleiben. Hier kannst du wenigstens keinen weiteren Schaden anrichten.“
„Sehr komisch,“ brummte Elrond.
„Laß mich einen Rechtsgelehrten aufsuchen und um Rat fragen. Mach dir keine Sorgen, wir kriegen das schon wieder irgendwie hin,“ Liselle neigte den Kopf und küßte Elrond sanft durch die Gitterstäbe. „Und glaub ja nicht, daß du um die Erklärung herum kommst, warum dich die Damen im Torhaus kannten!“
„Ich sagte doch bereits, das mit den Mädchen war ganz alleine meine Idee,“ kam Fayt seinem Freund erneut zu Hilfe.
„Sei ruhig, du bist nicht gemeint. Elrond weiß sehr genau, wovon ich spreche. Und du,“ sie deutete mit dem Finger anklagend auf Fayt „kannst dir in der Zwischenzeit in Ruhe überlegen, wie du Zoe und mir erklärst, warum du hier sitzt!“
„Und ich möchte eine sehr überzeugende Erklärung hören!“ fügte Zoe drohend hinzu. Fayt ließ den Kopf hängen und schaute sie schuldbewußt an.
„Vertrau mir, es wird sich eine Lösung finden,“ versprach Liselle Elrond noch einmal und verabschiedete sich mit einem Kuß.

Der Rechtsgelehrte Refardeon Korninger empfing Liselle und Zoe freundlich, trotz der fortgeschrittenen Stunde. Sie hatten sich von dem Gardisten Darian den Weg zu ihm erklären lassen. Refardeon war ein kleiner, beleibter Mann mit spärlichem Haarwuchs, eine Tatsache, die er zu verbergen versuchte, indem er einfach die Haare über die beginnende Glatze kämmte. Sein Gesicht war rund und seine Augen musterten sie aufmerksam.
„Nun, da hat Euer Verlobter sich mit mächtigen Leuten angelegt,“ sagt er, nachdem Liselle und Zoe die Ereignisse, die sie zu ihm geführt hatten, geschildert hatte. „Melcher Gerdenfels und seine Freunde Gerios von Sieghelms Halm sowie Jordan von Bodrin, Neffe des Grafen von Bodrin zum Schetzeneck, und noch einige andere Sprößlinge adliger Abstammung sind in Angbar berüchtigt für ihr Treiben. Da sie nie Konsequenzen zu befürchten haben, können sie manchmal eine wahre Plage sein. Jeder geht ihnen aus dem Weg.“
„Nun, mein Verlobter kannte diese Leute nicht,“ Liselle zuckte bedauernd mit den Achseln.
„Hoffen wir für Euren Verlobten, daß der junge Melcher Gerdenfels den morgigen Tag noch erlebt,“ die Stirn des Rechtsgelehrten lag in tiefen Falten.
„Könntet Ihr die Beiden denn bis zur Verhandlung aus dem Kerker holen lassen?“ Liselle schaute Refardeon bittend an.
„Das müßte sich machen lassen. Gegen ein Pfand in wahrscheinlich sehr beträchtlicher Höhe sollte ich die Beiden bis zur Verhandlung freibekommen. Überlaßt das ruhig mir,“ Refardeon schaute sie mitfühlend an bevor er fortfuhr. „Ihr werdet doch für sie bürgen, nehme ich an?“
„Ja, werde ich,“ seufzte Liselle und fragte sich, ob sie die beiden nicht einfach im Kerker schmorren lassen sollte.
„Dann wäre das auch geklärt, ich werde sofort das Notwendige veranlassen. In welcher Herberge wohnt Ihr, ich werde dann die beiden Delinquenten zu Euch bringen und sie Eurer Obhut unterstellen. Ihr seid dann dafür verantwortlich, daß sie die Stadt nicht verlassen und zur Gerichtsverhandlung erscheinen.“
„Wir sind im Goldenen Esel untergebracht,“ antwortete Liselle.
„Gut, wir werden uns dann dort treffen. Vertraut mir, es ist niemals so ausweglos, wie es anfangs scheinen mag,“ er lächelte die beiden Mädchen aufmunternd an. „Und nun geht am besten zu Eurer Herberge.“