Zweites Abenteuer - Kapitel II
Liselle und Zoe saßen früh am Morgen schon beim Frühstück während ihr Gepäck verladen wurde. Die Abreise war früh geplant, immerhin war es eine Tagesreise mit der Kutsche bis zum Landsitz der von Oltenburgs.
"Mach mir keine Flausen, hörst du!" Maria kannte ihr Nesthäkchen immerhin und wußte, warum sie das sagte.
"Sicher nicht Maria. Du weißt doch, ich laß mich einfach nicht erwischen," lachte Liselle und umarmte die Köchin noch einmal. "Dein Frühstück wird mir fehlen."
"Und mir dein verkatertes Gesicht. Und nun mach dich aus meiner Küche, das Mittagessen wartet darauf, zubereitet zu werden, und deine Freundin ist schon draußen," Maria schmunzelte, sie wußte genau, was Liselle ohne ihre Eltern auf dem Landgut anstellen würde.
Liselle verabschiedete sich noch von ihrer Familie, natürlich nicht ohne die üblichen Ermahnungen und Grüße an die Mitglieder des Adels, die sie im Laufe ihres Aufenthaltes hoffentlich besuchen würde. Zoe und Liselle hielten ihre Taschentücher aus dem Fenster, die schwungvoll im Wind wehten, bis die Kutsche um die Ecke bog. Liselle ließ sich zurück ins Polster fallen.
"Freiheit, wir kommen," sagte sie und grinste ihre Freundin spitzbübisch an.
Die Fahrt verlief ruhig, fast schon gemütlich. Schließlich hatten sie keine Eile und vertrieben sich gegenseitig die Zeit damit, sich über ihr Leben auszutauschen.
"Sag mal, wo kommst du Puniner Landadel denn nun wirklich her?" fragte Liselle neugierig. Bis jetzt war ihre kleine Notlüge ja nicht aufgefallen, was hauptsächlich Zoes Verdienst war. Sie bewegte sich in der gehobenen Gesellschaft, als hätte sie nie irgendwo anders hingehört.
"Nun ja, meine Eltern sind einfache Landarbeiter auf einem Gut im Puniner Umland," fing sie ihre Erzählung an. "Ich mußte seit meinem zehnten Lebensjahr auf dem Feld mithelfen, damit es wenigstens für das Lebensnotwendigste reichte. Als ich dann vierzehn war, beschloß ich, daß es an der Zeit wäre, mein Glück in der Stadt zu versuchen und eine Arbeit bei einer reichen Familie zu finden, damit ich meine Eltern unterstützen konnte. Ich landete bei einer Gräfin und begann dort als Küchenmagd zu arbeiten. Ich durfte dort wohnen und essen und konnte meinen Eltern jeden Monat die Hälfte meines Verdienstes schicken. Was ich nicht wußte, als ich diese Stelle annahm, war daß die Gräfin gar keine richtige Gräfin war. Sie war eine Edelkurtisane und hatte sich von dem Geld, daß sie damit verdiente, den Titel einfach gekauft. Eines Tages kam also die Gräfin in die Küche um mit der Köchin zu sprechen und sah mich dort arbeiten. Naja, und dann ging alles ziemlich schnell. Sie lehrte mich, wie man sich in feiner Gesellschaft bewegt, wie man mit Männern umgeht, Diskretion und die Liebeskunst. Ich arbeitete zwei Jahre für sie, bis sie plötzlich und überraschend starb. Da wußte ich, es war Zeit für mich, weiter zu ziehen und so bin ich nach Gareth gekommen und direkt am ersten Tag dir über den Weg gelaufen. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt," erzählte Zoe.
"Und, schickst du deinen Eltern immer noch Geld?" fragte Liselle, der die Geschichte vor Augen führte, daß nur die wenigsten Menschen so aufwuchsen wie sie.
"Ja, das tue ich, auch wenn ich ihnen verschweige, womit ich es verdiene. Und du, wie hast du Patras kennen gelernt? Schließlich ist er ja auch nicht unbedingt der Umgang, der sich für die Tochter eines Barons schickt," fragte Zoe sie nun.
"Wie Patras und ich uns kennen gelernt haben?" Liselle lachte. "Das war vor gut einem Jahr, als ich, verleitet durch den Sohn einer befreundeten Familie, zum ersten Mal in einer dieser halblegalen Tavernen war, wo man jeglichem erdenklichem Laster frönen kann. Mein Bekannter mußte auf einmal plötzlich weg und wollte mich eigentlich nicht alleine dort lassen, aber ich war zu fasziniert von dem, was ich dort sah, so daß er mich dort ließ. Ich setzte mich also in eine ruhige Ecke und bestaunte das Treiben um mich herum, als er plötzlich vor meinem Tisch stand und mich sehr charmant fragte, ob er sich zu mir setzen könne. Er hat mich vom ersten Augenblick an angezogen, ich weiß nicht warum. Es muß dieses Flair von Abenteuer und Verbot sein, das ihn umgibt. Gut, seinen Charme sollte man dabei auch nicht vergessen. Wir saßen den ganzen Abend zusammen da und unterhielten uns und er schien fasziniert zu sein davon, daß sich eine Tochter aus gutem Hause in solch einer zwielichtigen Umgebung rumtrieb. Als ich dann gehen wollte, bot er mir an, mich nach Hause zu bringen und während wir so durch die dunklen Straßen gingen, habe ich einfach seine Hand genommen. Da blieb er plötzlich stehen, drehte sich zu mir und zog mich an sich. Tja, das war dann auch das erste Mal, daß mich jemand so geküßt hat daß mir davon schwindlig geworden ist. Er hat mich gefragt, ob ich wirklich nach Hause möchte und ich habe nur den Kopf geschüttelt. Naja, wir sind dann halt zu ihm gegangen und als er mich die Treppe hochtrug, war es um mich geschehen. Er war sanft und hat mich nicht gedrängt, wenn in dieser Nacht jemand gedrängt hat, werde das wohl eher ich gewesen sein. Gut, am nächsten Morgen unentdeckt ins Haus zu kommen, das ist wiederum eine andere Geschichte. Wir haben uns immer wieder gesehen und er hat mir beigebracht, wie man Schlösser knackt und solche Sachen halt. Ja, das ist die Geschichte von Patras und mir," schloß Liselle.
"Oh, wie romantisch," seufzte Zoe.
"Naja, kommt drauf an, wie man romantisch definiert," lächelte Liselle versonnen und schaute aus dem Fenster auf die sanft vorbeigleitende Landschaft.
Die Mädchen erreichten den idyllisch gelegenen Landsitz der von Oltenburgs gegen Abend. Es fing schon an zu dämmern und so machten sich die beiden Mädchen nur frisch, nahmen ein leichtes Abendessen zu sich und machten es sich danach im Lesezimmer gemütlich. Liselle bat die Haushälterin um eine Liste der Leute, die sich bereits auf ihren Landgütern befanden, sie plante eine kleine Feier mit gewählten Gästen.
"Sag mal, hast du schon einmal auf einem Pferd gesessen?" erkundigte sich Liselle neugierig.
"Nein, noch nie," antwortete Zoe.
"Naja, macht nix. Es wird sich schon ein gutmütiges Pferd auftreiben."
"Was hast du denn vor?"
"Ich dachte mir, wir machen morgen ein gemütliches Picknick im Grünen und reiten ein wenig aus wenn das Wetter mitspielt. Ich kann dein Pferd am Zügel führen, du brauchst also keine Angst zu haben."
"Oh ja, ich wollte schon immer gerne reiten lernen," stimmte Zoe freudig zu.
"Abgemacht. Und nun laß uns schlafen gehen, ich muß eine ganze Menge Schlaf nachholen," grinste Liselle.
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