Zweites Abenteuer - Kapitel III
Wie Liselle angekündigt hatte, schlief sie erst einmal lange und ausgiebig, um dann erholt in bequeme Kleidung gehüllt die Treppe hinunter zu hüpfen. Ein Blick aus dem Fenster versprach strahlenden Sonnenschein und Zoe erwartete sie bereits am Tisch. Vor ihr standen Schwarzbrot und Konfitüre, was Liselle zum Schmunzeln brachte.
"Na, hast du nun ausgeschlafen?" fragte Zoe gut gelaunt als sie ihre Freundin erblickte.
"Sicher. Und du, bist du bereit für deinen ersten Ausritt?"
"Immer doch, mehr als runterfallen kann ich ja schließlich nicht."
"Da hast du auch wieder recht," lachte Liselle.
"Pelor, sattel für meine Freundin bitte die braune Stute und für mich den grauen Wallach, wir möchten ein wenig ausreiten und meine Freundin hat noch nie auf einem Pferd gesessen," sagte Liselle erklärend zu dem Pferdeknecht, der sie breit angrinste.
"Isch werd Eusch schon zwei liebe Pferdsche raussuche," meinte er und verschwand im Stall, um kurze Zeit später mit den gewünschten Reittieren wieder aufzutauchen.
"Na, dann kommense ma her, junges Fröllein," sagte er in Zoes Richtung und half ihr dann aufs Pferd. "Fallense nit runner und viel Spaß wünsch isch ihne."
Liselle saß auf, lenkte ihren Grauschimmel neben Zoes braune Stute und ergriff ihre Zügel.
"Keine Angst, uns wird schon nix passieren," lächelte sie beruhigend in Zoes Richtung und führte sie durch das Tor.
Die beiden Mädchen hatten ihr Picknick genossen, ihren makellosen Teint der zarten Frühlingssonne ausgesetzt und viel gelacht. Am frühen Nachmittag beschlossen sie, genug Landluft geschnuppert zu haben und machten sich gemuetlich auf den Heimweg, zumal sich am Himmel dunkle Wolken zeigten. Wie sollte es auch anders sein, natürlich fing es in Strömen an zu regnen als sie noch gut eine Dreiviertelstunde vom Landgut entfernt waren. Selbst ein scharfer Galopp, den Liselle Zoe allerdings nicht zumuten wollte, hätte nicht verhindert, daß sie bis auf die Knochen naß wurden. Sie hatten vielleicht noch zehn, fünfzehn Minuten vor sich, da bemerkte Liselle durch den dichten Regen drei Gestalten, die vielleicht hundert Meter entfernt waren und neben einem Eselskarren herstapften. Liselle schenkte ihnen keine großartige Beachtung, sie wollte nur noch ins Trockene. Da pfiff plötzlich einer von ihnen. Zoe und Liselle schauten sich an, beide hatten eine böse Vorahnung, und ignorierten beide, daß hinter ihnen hergepfiffen wurde. Da pfiff es erneut, lauter diesmal, Liselles Grauschimmel scheute, sie machte einen Satz und landete in einer Pfütze. Nun war sie nicht nur naß, sondern auch noch von oben bis unten schmutzig. Fluchend rappelte sie sich wieder auf, schnappte ihren Grauschimmel am Zügel und wollte wieder aufsteigen, als ein stechender Schmerz durch ihren Knöchel schoß.
"Halt, nicht aufsteigen!" rief die mittlere der drei Gestalten, die in der Zwischenzeit heran gekommen waren. "Es kann sein, daß sich Euer Pferd vertreten hat."
Liselle drehte sich langsam um. Als sie diese Stimme hörte, beschlich sie eine fürchterliche Vorahnung.
"Was im Namen der zwölf Götter macht ihr hier? sagte sie zu den drei in Regenmäntel gehüllten Gestalten, die sich als Andra, Fayt und, wie sollte es auch anders sein, Elrond entpuppten. "Habe ich denn nirgendwo meine Ruhe vor euch?"
"Nette Begrüßung," meinte Andra lakonisch. "Und jetzt setzt Euch erstmal auf den Karren, es scheint, als hättet Ihr Euch bei dem Sturz verletzt."
Widerwillig ließ Liselle sich von der Zwergin auf den Karren helfen, während Elrond erst den Grauschimmel untersuchte und dann in seinem Gepäck nach einem Regenmantel für Zoe suchte. Liselle bekam Andras Regenmantel umgehängt, der ihr natürlich viel zu kurz war und sie nur notdürftig vor dem Regen schützte. Elrond führte die beiden Pferde und Andra den Esel. So erreichte man eine Viertelstunde später den Hof des Gutshauses und Andra befahl Elrond, Liselle doch bitte zu tragen.
"Faßt mich nicht an, ich kann das alleine," erklärte sie, doch als sie den Fuß belasten wollte, stieß sie einen unterdrückten Schmerzensschrei aus.
"So, so, Ihr könnt das also alleine?" fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen, hob sie kurzerhand hoch und trug sie den überdachten Gang vom Stall zum Haus.
"Wischt Euch gefälligst die Füße ab bevor Ihr ins Haus trampelt," verlangte Liselle, der nichts anderes übrig blieb, als sich widerwillig ins Haus tragen zu lassen.
"Erst mal müssen wir Euch wieder trocken und warm bekommen, danach sehe ich mir Euren Fuß an," wies Andra die beiden Mädchen an. "Laßt schon einmal das Badehaus fertig machen."
Liselle gab keine Widerrede, anscheinend verfügte die Zwergin über medizinische Kenntnisse und Liselle widersprach keinem Arzt.
Liselle und Zoe gingen zusammen baden, schließlich war das Badehaus groß genug. Es tat gut, endlich wieder Wärme in den Körper zu bekommen. In dicke, trockene Kleider gehüllt ließ sich Liselle von der Magd in ihr Zimmer helfen, damit Andra ihren Fuß untersuchen konnte. Die Zwergin drückte und zog an ihrem Fuß herum und fragte immer wieder, ob dies oder das weh tun würde.
"Nun, wollt Ihr zuerst die schlechten oder die guten Nachrichten hören?" fragte sie, als sie ihre Untersuchung beendet hatte.
"Da dieser Tag ohnehin unter keinem guten Stern steht, fangt mit den schlechten Nachrichten an."
"Nun ja, die schlechte Nachricht ist, Ihr habt Euch den Knöchel verstaucht. Doch die gute Nachricht ist, es ist immerhin nichts gebrochen," erklärte Andra.
"Prima, und wie lange wird das dauern, bis es ausgeheilt ist?"
"So eine gute Woche werdet ihr schon einrechnen müssen," fuhr Andra fort. "Und Ihr dürft das Bein nicht belasten."
"Das paßt ja, wo ich doch eigentlich geplant habe, diese Woche noch ein kleines Fest zu organisieren. Was habt ihr alle überhaupt hier verloren, ich wüßte nicht, daß ich euch eingeladen hätte."
"Wir waren gerade in der Nähe und dachten wir schauen mal vorbei," sagte Elrond, der mittlerweile das Zimmer betreten hatte.
"Sicher, ihr wart einfach so in der Nähe," gab Liselle spöttisch von sich.
"Wo wir schon einmal da sind, gibt es in der Nähe ein Gasthaus oder habt Ihr vielleicht ein Zimmer für uns übrig?"
"Ja klar, ich werde euch bestimmt wieder in den Regen hinausschicken, für wie herzlos haltet ihr mich bitte?" schnaubte sie und klingelte nach der Haushälterin.
"Laßt für den riesigen Söldner und die Zwergin die Gästezimmer herrichten und weist diesem Edelherrn," sie betonte das Wort spöttisch, "ein Zimmer im Dienstbotentrakt zu."
"Wie Ihr wünscht, Mylady," eilig verschwand die Haushälterin um ihre Anweisungen so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen.
"Dank an Euch und nun schlaft, damit Ihr nicht krank werdet. Immerhin seid Ihr bis auf die Knochen naß geworden," empfahl die Zwergin den beiden Mädchen, die kurzerhand beschlossen, im gleichen Zimmer zu schlafen. Sie fühlten sich beide nicht sehr gut, trotz des heißen Bades, und schliefen so auch schnell ein.
Kurz nach Mitternacht, wenigstens schätzte Liselle, daß es kurz nach Mitternacht sein mußte, wachte sie auf und hörte Zoe im Schlaf reden. Sie versuchte, ihre Freundin zu wecken, ohne großen Erfolg. Offenbar phantasierte diese im Schlaf und die Tatsache, daß ihre Stirn glühend heiß war, machte Liselle Angst. Hektisch zog sie am Klingelzug, um die Zofe herbeizurufen, bevor sie selber wieder bewußtlos in die Kissen sank.
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