Velvets Journal

Velvet, die eigentlich Liselle von Oltenburg heißt, ist die jüngste Tochter einer einflußreichen Familie des Garether Hochadels. Doch hinter Velvet steckt mehr als nur eine "Prinzessin auf der Erbse", das junge Mädchen hat es faustdick hinter den Ohren. Laßt Euch in die Welt und die Abenteuer entführen, die sie auf ihrem Weg erlebt. Viel Vergnügen!

Dabei wird sie begleitet von Andra, einer Zwergin, die ihre neugierige Nase oft in Dinge steckt, die sie nichts angehen. Ihr Schützling Elrond Feuerlilie, ein Halbelf aus Thorwal, weicht seiner zwergischen "Ziehmutter" natürlich nicht von der Seite. Zoe Derp, Kurtisane aus Punin auf der Suche nach neuen "Geschäften", und Fayt Leingod, Trollzacker und ehemaliger Gladiator-Sklave aus Al'Anfa, der sich nun als Söldner verdingt, sind weitere Mitglieder der Gruppe, mit denen Liselle Aventurien unsicher machen wird.

Samstag, April 30, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VIII (2)

(zweiter Teil)

Meine Geliebte,

es zerreißt mir das Herz, aber ich wünsche Dir und ihm Glück auf eurem Weg. Mögest Du glücklich werden, nur das ist wirklich wichtig.

In Liebe
Dein P.

Zoe sah sie geknickt dort auf dem Steg sitzen, gesellte sich zu ihr und legte ihr sanft die Hand auf die Schulter.
„Was hast du denn?“ fragte sie ihre Freundin mitfühlend.
Liselle hatte in den vergangenen Tagen genug Vertrauen zu Zoe gefaßt, um sie grob in das ganze Ausmaß des Desasters einzuweihen und ihr den Brief zu zeigen.
„Das klingt nicht gut,“ sagte Zoe leise. „Was wirst du tun?“
„Ich kann nichts mehr tun, wenn er die Warnung in den Wind schlägt und auf diesem Verlobungs-Theater besteht. Sollte er nicht zur Vernunft kommen, dann werde ich mit Patras zusammen die Stadt verlassen. Ich werde niemals im Leben die Frau dieses Mistkerls!“
„Hör zu, ich werde deinen Eltern sagen, daß du dich nicht wohl fühlst und schon einmal vorgefahren bist nach Hause und sie solange wie möglich hier aufhalten. Geh zu deinem Geliebten,“ bot Zoe an.
„Das würdest du tun?“ fragte Liselle.
„Nun mach schon, daß du weg kommst,“ lächelte Zoe sie an.
Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, sie eilte zur Kutsche und wies den Kutscher an, sie schnellstmöglich nach Hause zu bringen. Kurze Zeit später hielt die Kutsche vor dem Stadtpalais und Liselle schickte den Kutscher auf eine Besorgung am anderen Ende der Stadt, um Zeit zu gewinnen. Ohne Kutsche würden ihre Eltern nicht so schnell nach Hause gelangen können. Gehetzt zog sie sich um und sah zu, daß sie auf schnellstem Wege zu Patras gelangte. Sie grüßte nicht einmal Sam, als er ihr die Tür öffnete, sondern eilte ohne ein Wort zu sagen die Treppe hoch.
„Was hat das zu bedeuten?“ sagte sie zu Patras, der sie mit einem seltsamen Ausdruck ansah als sie in das Zimmer stürzte, und knallte ihm den Brief auf den Tisch.
„Nun, genau das, was darin steht. Ich will deinem Glück nicht im Wege stehen.“
„Was soll das jetzt? Läßt du mich jetzt auch noch im Stich?“
„Nicht freiwillig, meine Süße, nicht freiwillig,“ seufzte er und Liselle sah den Schmerz, den ihn diese Worte kosten mußten, in seinen Augen.
„Was ist passiert?“ fragte sie sanft und wollte die Hand auf seinen Arm legen, doch er zuckte zurück. „Was hast du?“
Wortlos rollte er den Ärmel seines weiten Hemdes hoch und sie sah, daß er verwundet war. Er hatte eine Brandwunde um das Handgelenk, die aussah, als ob ihn eine glühendheiße Hand dort ergriffen hätte.
„Was ist das?“ fragte sie entsetzt, so etwas hatte sie noch nie gesehen.
„Als ich gestern nacht von unserem Treffen zurück kam und ins Zimmer trat, erschien auf einmal dieses ... dieses ... Feuerding hier, packte mich am Arm und zischte mir zu, ich solle Dich gehen lassen und Dir Glück wünschen, danach verschwand es einfach, als hätte es sich in Luft aufgelöst,“ berichtete er, wie er sich diese Verbrennung zugezogen hatte.
„Feuerding?“
„Ja, es sah entfernt menschlich aus, so von der Form her, und es bestand aus reinem Feuer.“
Liselle mußte erst einmal über das eben Gehörte nachdenken und so schritt sie stumm im Zimmer auf und ab.
„Hör zu, du mußt dir einen neuen Unterschlupf suchen, hörst du? In diesem Haus bist du nicht mehr sicher und ich will nicht, daß dir etwas passiert. Es wird sich alles aufklären und wenn ich zu meinen Eltern gehen und reinen Tisch machen muß.“
„Meinst du? Ich habe versucht, etwas über diese Zwergin, wie war doch gleich ihr Name?“
„Du meinst Andra?“
„Ja, genau. Andra. Wie gesagt, ich habe versucht, etwas über sie herauszufinden. Keiner konnte mir sagen, wer sie ist, wo sie herkommt oder was sie in Gareth macht, das macht mir Sorgen.“
„Ich hab die gleiche Erfahrung gemacht,“ bestätigte Liselle. „Bring Dich in Sicherheit, du weißt, wie du mit mir Kontakt treten kannst.“
„Paß auf dich auf, meine Süße, versprich mir das,“ sagte Patras noch, bevor Liselle sich wieder auf den Heimweg machte.

Sie schaffte es auch in der Tat, noch vor ihren Eltern wieder zu Hause zu sein und im Bett liegend Unwohlsein zu heucheln. Der Baron und seine Frau zogen sich aus ihrem Zimmer zurück, sie wollten ihr Ruhe gönnen. Keine halbe Stunde später klopfte die Magd und überbrachte ihr einen versiegelten Brief.

Hallo Liselle,

es ist dringend notwendig, daß wir uns mal zusammen setzen und diese verfahrene Situation aufklären bevor noch irgendwelche Unglücke passieren. Ich erwarte Euch um zehn Uhr diesen Abend in der Taverne „Roter Hahn“.

Andra

Nachdenklich drehte Liselle das Blatt Papier in der Hand, die Zwergin war wirklich keine Freundin langer Worte oder höflicher Anreden. Sie ging hinunter zu ihren Eltern in den Salon, heuchelte schwere Kopfschmerzen und bat darum, nicht zum Abendessen erscheinen zu müssen, sie wolle sich hinlegen und schlafen. Die Baronin schickte sie auch unverzüglich ins Bett. Liselle wartete bis acht Uhr, wenn das Abendessen bereits aufgetischt sein würde, knüllte eine Decke zusammen und arrangierte das Bett so, daß es aussah, als würde sie tatsächlich darin liegen. Sie wußte, ihre Mutter würde später noch nach ihr schauen, sie aber nicht wecken wenn sie schlief. Oder zumindest glaubte, daß sie in ihrem Bett lag und schlief. Vorsichtig schlich sie sich aus dem Haus und begab sich auf den Weg zum „Roten Hahn“, der im Südquartier lag. Sie kannte diese spezielle Taverne und wußte auch, wie man sie betrat, ohne jemals die Türschwelle überschritten zu haben. Unter der Taverne verliefen unzählige Gänge, die natürlich auch ausgiebig genutzt wurden.

Als Liselle später ebenfalls durch einen dieser Tunnel in besagter Taverne eintraf, stieß sie als erstes auf Patras.
„Was machst du hier?“ fragte sie ihn erstaunt.
„Ich wurde herbestellt,“ erwiderte er und sah sie sanft an.
„Laß mich raten, du hast eine Notiz von Andra bekommen?“
„Woher weißt du das?“ wollte er überrascht wissen.
„Was glaubst du, warum ich hier bin?“

„Diese Zwergin geht mir auf den Keks,“ fluchte er leise vor sich hin.
Kurz darauf bat sie Turike Gussel, die Wirtin der Schenke, von der es in gewissen Kreisen auch hieß, sie würde Waren kaufen und verkaufen ohne nach der Herkunft zu fragen, ihr in ein Hinterzimmer zu folgen. Als sie das Zimmer betraten, war nicht nur Andra anwesend, im Hintergrund stand auch noch Elvion Feuerglanz, neben ihm Liselles verhaßter Möchtegern-Verlobter.
„Also, was wollt ihr?“ wandte sie sich ohne Umschweife an die Zwergin.
„Setzt euch doch erst einmal.“
„Nein danke.“
„Wie ihr wollt. Nurti hat Eurem Freund etwas zu sagen. Los, mach schon Nurti, ich hab nicht die ganze Nacht Zeit.“
Nurti war wohl der Spitzname von Elrond Feuerlilie, denn dieser trat ohne zu Zögern auf Patras zu und baute sich vor ihm auf.
„Hört mir zu, ich will die Kleine nicht. Sie gehört Euch und wenn Ihr sie liebt, schön für Euch, mir ist die zu anstrengend. Ich wollte der kleinen Rotzgöre lediglich eine Lektion erteilen, daß man nicht so mit Leuten umspringt, wie sie das tut. Ich bin bereit, die ganze Sache zu vergessen, die Verlobung zu lösen und die Schuld auf mich zu nehmen. Hier ist mein Vorschlag: sie entschuldigt sich bei meinem Freund Fayt Leingod für den Tag Kerker, den er dank ihr erhalten hat, und mir schuldet sie einen Gefallen.“
„Redet mit ihr, nicht mit mir. Das ist ja wohl ihre Entscheidung,“ entgegnete Patras und schaute Elrond verächtlich an.
„Also, Ihr habt mich gehört.“
„Soll das hier eine Erpressung werden?“
„Ich sagte Gefallen.“
„Halt mich nicht für blöd, ich erkenne eine Erpressung wenn ich eine sehe.“
„Nein, ich habe lediglich einen Gefallen bei Euch gut, wenn ich einmal Eure, wie auch immer geartete, Hilfe benötigen sollte.“
„Wie auch immer geartete Hilfe?“ wiederholte sie den letzten Teil seines Satzes mißtrauisch.
„Ja, wenn ich mal in der Klemme stecken sollte, einflußreiche Freunde kann man immer gebrauchen. Nicht das, was Ihr denkt! Dafür seid Ihr mir nun wirklich zu anstrengend.“
Liselle ballte die Fäuste vor lauter Wut in den Taschen ihrer schwarzen Stoffhose. All das Theater, weil er der Meinung war, ihr eine Lektion erteilen zu wollen? Man traf sich im Leben immer zweimal, sollte er seinen Gefallen haben, er würde ihn bitter bezahlen. Die Gelegenheit, sich dafür zu rächen, würde sich später mit Sicherheit ergeben.
„Meinetwegen, du hast einen Gefallen frei,“ willigte sie ein und lächelte zuckersüß.
„Und Ihr entschuldigt Euch bei meinem Freund?“
„Wenn du dir das so dringend wünschst,“ gab sie in einem ätzenden Tonfall zurück.
„Gut, sobald Fayt mir bestätigt hat, daß ihr das getan habt, werde ich den ganzen Schlamassel aufklären,“ versprach Elrond.
„Schön, daß wir darüber gesprochen haben,“ vernahmen sie Elvions Stimme aus dem Hintergrund. „Dann kann ich ja auch meine Freunde von diesem Herren hier nehmen.“
Er trat ins Licht und murmelte etwas, die Luft fing an zu schimmern und plötzlich schwebten zwei menschenähnliche Gebilde, die aussahen wie Wolken, in den Raum. Patras wurde kreidebleich und Liselle starrte ungläubig auf diese Kreaturen. Sie hatte bisher nicht an so etwas wie Dämonen oder Magie geglaubt oder war gar damit in Berührung gekommen.
„Eure Dienste werden nicht mehr benötigt,“ sagte Elvion und mit einer fast nachlässigen Handbewegung ließ er sie verschwinden.
Liselle starrte noch für einen Moment auf die Stelle, wo gerade eben noch diese ... Dinger gestanden hatten, dann verließ sie mit Patras grußlos das Hinterzimmer und begab sich auf dem gleichen Weg zurück auf die Straße auf dem sie auch herein gekommen war.

Patras begleitete sie noch bis zur Gartenpforte und die beiden sprachen kaum auf dem Weg. Dort angekommen zog er sie an sich und küßte sie sanft und liebevoll.
„Ich glaube, ich werde für eine Weile diese Stadt verlassen und auf den Landsitz meiner Familie fahren,“ flüsterte sie ihm zu. „Ich habe kein Interesse daran, diesem Kerl noch einmal über den Weg zu laufen, ich hätte nicht übel Lust, ihm meinen Dolch zwischen die Rippen zu rammen.“
„Eine gute Idee. Ich weiß schließlich, wo das ist und werde dich dort besuchen kommen, meine Süße. Wir brauchen beide Zeit, um mit den Geschehnissen der letzten Tage fertig zu werden,“ stimmte er ihr zu, küßte sie ein letztes Mal und verschwand dann in den Schatten.
Liselle kletterte über den Balkon wieder in ihr Zimmer und achtete darauf, daß sie ihre Straßenkleidung sorgsam im Schrank versteckte, bevor sie sich ins Bett begab. Glücklicherweise fiel sie schnell in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

Freitag, April 29, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VIII (1)

(erster Teil)
29 n. Hal - 16. Tag im Monat des Phex

"Bist du dir absolut sicher, daß du sie auf den Nachttisch gelegt und nicht irgendwo verloren hast," fragte Liselle Zoe erneut.
"Ich bin mir absolut sicher," entgegnete Zoe.
"Hmm. Ich halte es für unwahrscheinlich, daß jemand vom Personal deine Brosche genommen hat, diese Menschen stehen zum Teil schon seit Generationen im Dienste meiner Familie."
"Das ganze ist wirklich komisch, wer sollte denn in mein Zimmer schleichen und sie rausnehmen wenn er dabei Gefahr läuft, daß ich wach werde?"
"Stimmt, wir sind tagsüber oft genug außer Haus, das wäre doch eine viel günstigere Gelegenheit. Ich werde veranlassen, daß noch einmal gründlich nach deiner Brosche gesucht wird," versprach Liselle, rief James und übertrug ihm die Verantwortung für die Suchaktion.
"James, wenn mein Vater wieder im Haus ist, dann informiert ihn bitte über den Vorfall," fügte sie hinzu.
Zoe und sie widmeten sich wieder ihrem Frühstück, plauderten ein wenig und waren sich beide einig darin, daß die Verlobung keine gute Idee war. Schließlich war das Objekt des Hasses nicht anwesend und so konnte Liselle ihrer Meinung freien Lauf lassen. Nachdem die Magd das Geschirr vom Tisch geräumt hatte, entschuldigte sich Liselle und zog sich zurück in die Bibliothek, wo sie Papier und Feder zur Hand nahm.

Sehr geehrte Andra,

ich wende mich an Euch, da ich mir keinen anderen Ausweg weiß. Mir ist bekannt, daß Ihr über meine Verbindungen informiert zu sein scheint und ich möchte Euch eindringlich darum bitten, Eurem Schützling diese Verlobung auszureden. Es gibt Menschen, die damit nicht einverstanden sind und auch nicht davor zurück schrecken werden, drastische Maßnahmen zu ergreifen um eine Hochzeit zu verhindern. Bitte sorgt für den nötigen Schutz für Euren Zögling.

Ergebenst
Liselle von Oltenburg

Sie siegelte den Brief und erteilte den Auftrag, ihn unverzüglich zur Herberge "Schwert und Panzer" bringen zu lassen. Sie rief dafür die Magd zu sich und erkundigte sich noch, ob die vermißte Brosche wieder aufgetaucht sei, was die Magd verneinte. Man habe sie nirgends finden können und James hätte Wert darauf gelegt, daß die Suche gründlich durchgeführt wurde. Kaum war die Magd mit dem Brief durch die Tür verschwunden, als Liselle Stimmen in der Halle vernahm. Elrond war zurück gekehrt und unterhielt sich mit ihrem Vater. Liselle schritt zügig in Richtung Halle.
"Da bist du ja, Liselle. Schau her, wer da ist," begrüßte ihr Vater sie.
"Guten Morgen," sagte sie betont kühl zu Elrond bevor sie sich ihrem Vater zuwandte. "Vater, ich muß dir etwas Unangenehmes mitteilen."
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Zoe die Halle betrat und winkte sie zu sich. Sie informierte ihren Vater über den Vorfall und die Maßnahmen, die sie eingeleitet hatte. Ihr Vater runzelte die Stirn, das gefiel ihm gar nicht. In seinem Haus kam nichts einfach so weg und ihr Personal war bis jetzt absolut vertrauenswürdig gewesen.
"Wie sieht denn Eure Brosche aus?" erkundigte sich Elrond höflich.
Zoe beschrieb das verschwundene Schmuckstück sehr detailiert und nachdem sie ihre Schilderung beendet hatte, zog Elrond etwas aus seiner Tasche und zeigte es ihnen.
"Ist es vielleicht diese, ich habe sie gestern abend auf der Terasse gefunden," erklärte er.
Zoe bejahte, das sei ihre Brosche. In ihren Augen stand Zweifel, sie schien sich nicht vorstellen zu können, daß sie sich dermaßen geirrt haben sollte. Auch Liselle hatte leichte Zweifel an dem angeblichen Fundort des Schmuckstückes, behielt diese aber für sich. Ihr Vater hingegen lobte überschwenglich die Ehrlichkeit des Finders, so etwas würde man heutzutage ja auch nicht mehr finden, jemand der so ehrlich war. Zoe und Liselle wechselten einen Blick, das paßte ja gut um die Begeisterung des Barons zu vervielfachen.
"Vater, würdest du Elrond und mich bitte einen Augenblick entschuldigen?"
"Kind, warum denn?" verwirrt schaute der Baron von Elrond zu seiner Tochter.
"Ach Vater, jetzt, da wir offiziell verlobt werden sollen, gönn mir doch ein paar Minuten mit ihm," sagte sie zuckersüß.
"Ach so, ja natürlich, natürlich. Ihr könnt in die Bibliothek gehen," der Baron wurde seiner Begriffsstutzigkeit offensichtlich gewahr und errötete sogar leicht.
Liselle zog Elrond in die Bibliothek und schloß die Tür hinter sich.
"Ich muß mit Euch reden, dringend," eröffnete sie knapp.
"Wollt Ihr mich denn gar nicht angemessen begrüßen, mein Schatz?" Liselle hätte ihm am liebsten das Grinsen aus dem Gesicht gewischt ob dieser erneuten plumpen Vertraulichkeit.
"Ich bin kein Schatz und selbst, wenn ich einer wäre, mit Sicherheit nicht Eurer!" fuhr sie ihn an.
"Worüber wollt Ihr denn mit mir reden? Über die anstehende Hochzeit?"
"Ganz im Gegenteil. Aber nicht hier, laßt uns nachher einen Spaziergang machen," fuhr sie fort, ohne seine Frage zu beachten.
"Und wenn ich nicht spazieren gehen möchte?"
"Ihr werdet!" in Liselles Stimme lag genug Bestimmtheit um ihn für einen Moment zu verwirren.
Da öffnete sich die Türe und der Baron trat ein, recht verlegen.
"Entschuldigt bitte, daß ich Euch belauscht habe. Aber ein Tag draußen im Grünen halte ich für eine hervorragende Idee, ich werde für die Familie ein Picknick vorbereiten lassen und wir werden diesen Tag im Park verbringen. Was haltet ihr davon?"
"Eine ausgezeichnete Idee, Vater," stimmte Liselle zu und verfluchte ihr Schicksal innerlich.

So begab sich dann die Familie von Oltenburg mitsamt ihren Gästen zur Mittagszeit in einen nahegelegenen Park, standesgemäß in der Kutsche. So sehr sie sich auch darum bemühte, ihre Eltern waren immer in ihrer Nähe und es ergab sich einfach keine Möglichkeit, mit Elrond unter vier Augen zu sprechen. Sie schlenderten gerade am Ufer des künstlich angelegten Sees entlang, als Liselle eine Idee kam.
„Vater, warte mal. Können wir nicht Boote ausleihen und ein wenig damit über den See fahren?“ fragte sie und setzte ihren Vater der vollen Wucht ihres Charmes aus.
Der Baron hatte ihr in der Hinsicht nichts entgegen zu setzen und so machte er sich flugs daran, für sie ein Boot zu mieten. Liselles Mutter, die ihre Absicht, mit Elrond alleine zu sein, durchaus verstanden hatte, ging hinüber, legte ihrem Mann die Hand auf den Arm und flüsterte ihm leise etwas ins Ohr. Daraufhin drehte sich der Baron noch einmal um und mietete zwei weitere Boote. Als sie an ihrer Mutter vorbei ging, zwinkerte diese Liselle verstohlen zu.
Der Baron und seine Frau nahmen ihr Boot, das zweite war für Zoe vorgesehen, die den wortkargen Fayt zum Begleiter bekam und das Dritte war dem „glücklichen“ Paar vorbehalten.
„Ihr beendet auf der Stelle diese verdammt Farce!“ eröffnete Liselle Elrond ohne große Umschweife, sobald er das Boot außer Hörweite gerudert hatte.
„Welche Farce meint Ihr?“
„Diese angebliche Verlobung. Ihr wißt nicht, was Ihr da tut.“
„Doch, ich werde Euch in Kürze heiraten.“
„Werdet Ihr nicht.“
„Es sieht doch ganz danach aus, oder etwa nicht?“
„Ihr werdet nicht dazu kommen.“
„Wie meint Ihr das denn?“
„Es gibt Leute, die etwas gegen diese Hochzeit haben und die auch nicht davor zurückscheuen würden, Euch notfalls aus dem Weg zu schaffen.“
„Und?“ meinte Elrond nur.
„Du verdammter Idiot, ich versuche dir dein Leben zu retten! Das hier ist kein Spiel mehr!“ fauchte sie ihn an, alle Höflichkeit vergessend. „Und jetzt ruder mich gefälligst zurück und danach geh mir aus den Augen!“
Während er das Boot zurück zum Steg ruderte, wandte sie sich ab und hüllte sich in eisiges Schweigen. Sie hatte ihn gewarnt und mochte er auch noch so mächtige Freunde haben, irgendwann würde einer von Patras Männern ihn erwischen. Patras verfügte über genug Verbindungen, um zur Not einen hochbezahlten Assassinen anzuheuern. Sobald Liselle das Boot verlassen hatte, drehte sie ihm provokativ den Rücken zu und ging davon. Er wartete noch, bis Fayt und Zoe zurück kehrten, um dann mit Fayt zu sprechen. Danach kam er zu ihr und teilte ihr mit, daß er leider gehen müsse und sie doch bitte ihren Eltern sein Bedauern ausdrücken solle, den schönen Ausflug frühzeitig abbrechen zu müssen. Sie würdigte ihn keines Blickes und sobald er weg war, ging sie hinüber zum Steg. Ihre Eltern genossen ihre Bootsfahrt noch und so kam sie nicht einfach hier weg. Da trat ein Mann auf sie zu und drückte ihr wortlos einen Brief in die Hand.

Donnerstag, April 28, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VII

(zweiter Teil)

Sie wartete im Salon auf das Eintreffen der Gäste und vertrieb sich die Zeit bis dahin mit Grübeln. Sie goß sich einen der edlen Kräuterschnäpse ihres Vaters ein und schwenkte die dunkel schimmernde Flüssigkeit langsam im Glas bevor sie den Schnaps in einem Zug austrank. Sie hörte die Türglocke läuten.
"Na, dann kann der Spaß ja beginnen," dachte sie ironisch.

Sie hörte Stimmen in der Eingangshalle und schlich an die Tür um zu lauschen. Was sie hörte, fand sie gar nicht lustig. Ihr Vater sprach mit Elrond über sie und es fielen Worte wie "Eure entzückende Tochter", "solch ein Liebreiz", "fühle mich sehr geehrt" und "Hochzeit planen". In ihr brodelte es, da rief der Baron auch schon nach ihr.
Eilig sprang sie einen Schritt von der Tür zurück, sie wollte schließlich nicht beim Lauschen erwischt werden.
Unser Gast ist da und er ist sogar in Begleitung von Elvion Feuerglanz gekommen!" ihr Vater zog sie stolz in die Eingangshalle, wo sie Elvion die Hand reichte, ebenso wie Andra, deren Miene mürrisch verzogen war. Elrond trat auf sie zu und sie bot ihm die Hand für den üblichen Handkuss. Doch er ignorierte ihre Hand, trat an sie heran und küßte sie, keinen Anstandskuß auf die Wange, nein, er küßte sie auf ihre Lippen.
Damit hatte Liselle nicht gerechnet, sie war zu überrascht um überhaupt reagieren zu können.
"Hallo mein Schatz," sagte er danach zu ihr, als wäre es das normalste der Welt, daß er sie einfach küssen durfte.
"Nennt mich nicht Schatz!" sie fand ihre Fassung wieder und ihre Augen sprühten Giftpfeile, was er mit einem amüsierten Grinsen quittierte.
"Der Punkt geht an ihn, aber wir sind noch nicht fertig miteinander!" dachte sie wütend. Die Tatsache, daß er Fayt zu dem Essen mitgeschleppt hatte, schürte ihre Wut noch mehr.

Das Essen über hüllte sie sich in Schweigen während sie entsetzt zuhören mußte, wie eine Hochzeit in Thorwal in Erwägung gezogen wurde. Die ganze Situation erschien Liselle immer unwirklicher und so hörte sie der Diskussion irgendwann auch nicht mehr zu, sondern überlegte, was sie tun konnte. Nach dem Essen erhob der Baron das Glas, schlug sanft den Löffel dagegen und erhob sich.
"Meine Lieben, anläßlich des freudigen Ereignisses habe ich eine kleine Überraschung vorbereitet. Folgt mir bitte auf die Terasse," sprach er und führte seine Familie und die Gäste nach draußen.
Stolz strahlte der Baron, als er das Erstaunen auf den Gesichtern der Versammelten sah und immer wieder ein "Ah" oder "Oh" der Begeisterung zu hören war. Der Baron hatte ein außerordentliches Feuerwerk vorbereiten lassen womit er seine Gäste erfreute. Liselle hatte keinen Blick dafür, sie wünschte sich, daß dieser Abend sich endlich dem Ende zuneigen und sie somit ihren lästigen Möchtegern-Verlobten loswerden würde, der sie zudem ständig "Schatz" oder "Liebling" nannte. Diese plumpe Vertraulichkeit ging ihr allmählich auf den Nerv, was nahm der Kerl sich heraus? Lange konnte es doch nicht mehr dauern, bis dieser Abend endlich vorüber war und die Gäste sie verlassen würden.
"Aber nein, das kommt doch gar nicht in Frage! Selbstverständlich seid Ihr auch über Nacht meine Gäste," hörte sie den Baron sagen und Liselle verdrehte die Augen.
"Es tut mir leid, aber mich erwarten morgen dringende Geschäfte, so gerne ich Euer Angebot auch annehmen würde. Wer würde es auch ausschlagen bei der Aussicht auf ein Frühstück, daß von Eurer hervorragenden Köchin zubereitet wird," lehnte Elvion das Angebot ab.
Auch Andra hatte am nächsten Morgen Dringendes zu erledigen, was keinen Aufschub duldete, und entschuldigte sich. Elrond hatte natürlich nichts wichtiges zu tun, Liselle hätte sich auch gewundert, wenn das der Fall gewesen wäre, und beeilte sich zu versichern, daß er sich sehr geehrt fühle. Nun hatte sie ihn bis zum Frühstück auf dem Hals. Er erklärte noch kurz, daß er allerdings am nächsten Morgen kurz zu seiner Unterkunft müsse, ein paar persönliche Dinge holen.
Liselle entschuldigte sich, sie sei müde und würde sich gerne auf ihr Zimmer zurück ziehen, man würde sich morgen beim Frühstück ja noch unterhalten können.
"Schlaft gut, meine Holde," wünschte ihr Elrond eine gute Nacht, doch Liselle hatte anderes vor, Schlafen zählte nicht dazu. Sie schloß die Türe zu ihrem Zimmer vorsichtshalber ab, damit niemand herein kommen konnte und somit entdecken würde, daß sie nicht da war. Sie schlüpfte in schwarze, einfache Kleidung, löschte das Licht und wartete im Dunklen darauf, daß es ruhig wurde im Haus.

Als sie sicher war, daß niemand sie bemerken oder gar hören würde, trat sie auf den Balkon und sprang hinunter auf den Rasen. Federnd und ohne einen Laut landete sie und schlich entlang der Wand zur Gartenpforte. So ganz lautlos war sie wohl doch nicht, plötzlich trat ihr eine Gestalt mit verschränkten Armen in den Weg.
"Wo willst du jetzt noch hin?" verlangte Maria streng zu erfahren.
"Maria, ich muß weg, dringend mit jemandem reden," erwiderte Liselle flehentlich.
"Um diese Uhrzeit?" setzte Maria ihr Verhör fort.
"Ja und es darf niemand erfahren, ich flehe dich an Maria!"
"Schon gut, ich werde es niemandem erzählen. Aber paß bitte auf dich auf, die dunklen Gassen, durch die du zu streunen pflegst, sind nachts schließlich nicht die sichersten."
"Das werde ich Maria, das werde ich. Läßt du mir bitte die Küchentür offen," bat sie noch, dann umarmte sie Maria kurz und verschwand auf die Straße. Dort atmete sie erst einmal tief ein, bevor sie sich auf den Weg machte. Sie ging zügig und auf dem schnellsten Weg zum Aves-Tempel, dem Stammplatz von Wolfsmann, dessen Dienste sie benötigte. Plötzlich rempelte sie ein offensichtlich Betrunkener an, der ihr aber ohne Nuscheln oder sonstige alkoholbedingten Sprachprobleme zuflüsterte, daß sie verfolgt würde. Sie kannte den Mann, er arbeitete für Patras. Derart gewarnt, tauchte in der nächsten Gasse in den Schatten und ging Schleichwege, die sie von den nächtlichen Streifzügen mit Patras her kannte. Bevor sie auf den Platz vor dem Aves-Tempel trat, ging sie noch einmal sicher, daß sie den unbekannten Verfolger auch wirklich abgeschüttelt hatte.
Ich benötige deine Hilfe," sagte Liselle leise und ließ ein paar Silbermünzen in Wolfmanns Bettelschale fallen, die vor ihm auf dem Asphalt stand.
"Du bist spät noch unterwegs, meine kleine Velvet," erwiderte Wolfsmann mit seiner tiefen aber dennoch sanften Stimme. "Planst du etwa, aus der Stadt zu flüchten?"
Wider Willen mußte Liselle grinsen als sie den leisen Spott in der Stimme ihres Freundes vernahm.
"Nein, noch nicht. Ich werde mich schon von dir verabschieden bevor ich gehe. Du mußt für mich zu Patras gehen und ihm ausrichten, daß ich in den Lieblichen Gärten auf ihn warte. Er soll sicher gehen, daß er nicht verfolgt wird."
"Dein Wunsch ist mir Befehl, kleine Velvet," er lächelte und bedeutete ihr, zu verschwinden. Er würde ein paar Minuten warten, bis sie außer Sichtweite war, bevor er seine Sachen einsammeln und ihren Auftrag ausführen würde.

Anderthalb Stunden vergingen, in denen Liselle unruhig auf und ab lief. Patras ließ sich gehörig viel Zeit und ihre Ungeduld und Sorge wuchs.
"Da bist du ja endlich, wo hast du denn nur gesteckt?" rief sie und flog ihm entgegen, als sie ihn endlich erblickte.
"Ich mußte sicher gehen, daß man mich nicht verfolgt."
"Ja, ich wurde verfolgt, einer deiner Männer machte mich diskret darauf aufmerksam."
"Er ist jetzt schon dein Verlobter und darf in eurem Haus bleiben," Patras Tonfall machte klar, daß er ihr keine Frage gestellt hatte.
"Ich weiß, ich weiß. Mein Vater ist der Hausherr, ich kann ihn schlecht eigenhändig rausschmeißen, auch wenn ich das lieber als alles andere tun würde."
"Morgen abend hat sich das Problem ohnehin erledigt," gab Patras von sich.
"Was hast du vor?" Liselle schwante Übles.
"Ich habe meine besten Männer auf ihn angesetzt."
"Du willst ihn umbringen lassen?!" entsetzt schaute Liselle ihren Geliebten an. "Hast du den Verstand verloren? Weißt du, unter wessen Fittiche dieser Mistkerl steht? Wenn er tot aufgefunden wird, dann wird es eine Untersuchung geben und man wird die ganze Stadt von oben nach unten kehren auf der Suche nach dem Mörder. Warum stellst du dich nicht gleich freiwillig unter den Galgen?" Liselle bekam es mit der Angst zu tun, das mußte sie auf alle Fälle verhindern. "Ruf deine Männer zurück, um meinetwillen."
"Das geht nicht," meinte er kurz angebunden.
"Und ob das geht!" rief sie wütend.
"Ich will nicht, daß dieser Kerl dich heiratet. Velvet, hör mir zu. Du weißt, daß ich dich liebe. Mir verursacht alleine schon der Gedanke, daß an der Verlobung etwas wahres dran sein könnte, schlaflose Nächte."
"Vertraust du mir?" Liselle schaute im fest in die Augen und nahm seine Hände in ihre.
"Jein."
"Jein?"
"Ich vertraue dir, aber ich habe Angst, daß du da nicht mehr herauskommst und ihm traue ich schon einmal gar nicht über den Weg," erklärte Patras.
"Wir werden eine andere Lösung finden und wenn wir ihm irgendetwas anhängen müssen, daß seinen Ruf ruiniert, doch Mord ist keine Option."
"Und wenn uns nichts einfällt, würdest du dann mit mir die Stadt verlassen?" fragte Patras und in seiner Stimme lag eine Dringlichkeit, die Liselle erst bewußt machte, was er wirklich für sie empfand.
"Durchbrennen? Wir beide? Wenn mir keine Lösung einfällt, dann wird das unser letzter Ausweg sein. Ich werde mich nicht an diesen Möchtegern verheiraten lassen. Versprichst du mir, daß du deine Leute zurück rufst?"
"Gut, ich werde sie zurück rufen, wenn es nicht schon zu spät ist," er sah ihr tief in die Augen und zog sie an sich. "Meine Süße, ich liebe dich und ich will dich nicht an dieses Spitzohr verlieren."
Sie antwortete nicht, sondern schmiegte sich in seine Arme und küßte ihn. Ausgiebig, bis ein Pfeil in den Rasen schlug. Sie wurden auf diese Weise von den Posten, die Patras aufgestellt hatte, gewarnt daß sich jemand näherte. Hastig verabschiedeten sich die beiden voneinander und verschwanden in die Nacht.

"Was für ein verfluchter Tag, der will und will einfach nicht enden," hörte sie jemanden. Die Stimme kam ihr seltsam vertraut vor, doch sie war zu sehr mit sich selber beschäftigt um herausfinden zu wollen, zu wem sie gehörte. Wie versprochen hatte Maria die Küchentüre offen gelassen und Liselle damit erspart, über den Balkon wieder in ihr Zimmer zu gelangen. Sie schloß die Küchentüre hinter sich ab und ging lautlos in ihr Zimmer. Ohne Licht zu machen entkleidete sie sich und ließ sich ins Bett fallen. Auch wenn es draußen noch dunkel war, das bereits einsetzende Gezwitscher der Vögel kündete davon, daß der Morgen nicht mehr fern war.

Mittwoch, April 27, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VII

(erster Teil)
29 n. Hal - 15. Tag im Monat des Phex


Beim Frühstück mit ihrer Familie entpuppten sich die Ereignisse des gestrigen Abends leider nicht als Albtraum, wie Liselle insgeheim gehofft hatte. Es gab nur ein Thema, ihr Verehrer. Den man für heute Abend zum Essen eingeladen hatte, wie der Baron seiner Tochter stolz eröffnete während er sein Frühstücksei köpfte. Liselle verschluckte sich fast an ihrem Tee.
"Heute abend?" fragte sie entsetzt.
"Ja, freust du dich denn nicht?"
"Doch sicher, irgendwie," wandt Liselle sich heraus. "Doch ich möchte heute den Tag gerne in der Stadt verbringen, Vater. Darf ich?"
"Sicher, doch denke bitte daran, daß du pünktklich wieder da bist."
"Mach ich Vater," versprach Liselle.

"Ich muß raus hier, wenn ich das den ganzen Tag höre, drehe ich durch," sagte Liselle später zu Zoe.
"Wo willst du denn hin?" fragte Zoe ihre Freundin, sie konnte Liselle durchaus verstehen.
"Ich werde einen alten Freund von mir besuchen," sagte Liselle und zwinkerte vielsagend.
"So, so, einen alten Freund?" Zoe zwinkerte zurück.
"Du bist mir nicht böse, daß ich dich heute alleine lasse?"
"Nein, nein, geh ruhig und lass Dampf ab, ich werde mir einfach einen schönen Tag machen und ein bißchen bummeln gehen."
"Wir werden uns ja dann spätestens heute abend bei diesem vermaledeiten Essen sehen," brummte Liselle.
"Nicht nur wir werden uns sehen," grinste Zoe.

Liselle verließ das Haus in Kleidung, die ihren Vater nicht mißtrauisch machte, und schlüpfte im Schuppen an der Gartenmauer in ihre bevorzugte Straßenkleidung bevor sie durch die Gartenpforte ging. Ihre Schritte lenkten sie zum Haus von Patras, in der Hoffnung, daß er auch anwesend war. Sie brauchte heute jemanden, dem sie vertrauen konnte und der nicht ständig davon redete, sie unter die Haube zu bringen.
Als sie ein wenig später an die Türe des Hauses klopfte, öffnete ihr Sam, Patras Leibwächter, die Türe.
"Ich hab mich schon gefragt, wann du hier auftauchen würdest," grinste er sie an.
"Warum?"
"Scheint ja gestern ein mächtig aufregender Abend für dich gewesen zu sein, hmm?"
"Hat sich das schon so weit herumgesprochen?" ärgerte sich Liselle und Sam grinste.
"Er ist oben und er hat nicht gerade die beste Laune," mit einem Kopfnicken deutete er auf die Treppe.
Kaum hatte sie sein Zimmer betreten, als er sie auch schon vorwurfsvoll anschaute.
"Hast du mir etwas zu erzählen?" fragte er eisig.
Auf dem Tisch standen eine geöffnete Weinflasche und ein Kelch, die leichten Vorhänge waren zugezogen, so daß das Zimmer in schummriges Licht getaucht wurde, und Patras war anzusehen, daß er die guten Neuigkeiten schon gehört hatte. Er trug keine Schuhe, saß auf einem Stuhl und hatte die Füße lässig auf einen Schemel gelegt. Sein Hemd war zerknittert und er hatte es nicht zugeknöpft, so daß es den Blick auf seine gut gebaute Brust freigab.
"Du hast es schon gehört?" fragte sie ihn.
"Wer nicht? Es ist das Stadtgespräch," erwiderte er.
"Oh, das hatte ich befürchtet," seufzte Liselle.
"Zwei Herzen haben sich gefunden? Zwei Herzen haben sich gefunden?!" schnaubte er verächtlich.
"Hör zu, das ganze war bestimmt nicht meine Idee und ich bin darüber alles andere als begeistert," versuchte sie ihn zu beschwichtigen und er sah sie verunsichert an.
"Warte hier, ich bin gleich wieder da," und ehe sie sich versah, hatte er den Raum auch schon verlassen.
Liselle setzte sich auf den Tisch, baumelte mit den Beinen in der Luft, goß sich ein Glas Wein ein und trank es in einem Zug aus. Patras Reaktion verwirrte sie, so kannte sie ihn gar nicht.
"Er wird doch wohl nicht etwa eifersüchtig sein?" fragte sie halblaut in den leeren Raum. Patras und sie kannten sich schon lange, sie hatte ihn auf einen ihrer ersten Streifzüge durch die halblegalen Tavernen Gareths kennen gelernt. Er war ein paar Jahre älter als sie und seine charmante Art hatte sie von Anfang an in ihren Bann gezogen. Patras war nicht nur ein einfacher Streuner, wenn es unter ihnen so etwas wie Adel geben würde, dann wäre er wohl mit einem Fürsten gleichzusetzen. Er hatte überall seine Finger drin, hatte Verbindungen zu mächtigen Leuten, war in dutzende illegale Geschäfte verwickelt und wurde von der Stadtgarde gesucht. Er hatte der faszinierten Liselle, die recht behütet aufgewachsen war, Eintritt in eine Welt verschafft und ihr Dinge gelehrt, die sich für ein Mädchen ihres Standes alles andere als gehörten. Sie waren nachts um die Häuser gezogen und hatten in dubioser Gesellschaft gefeiert bis zum Morgengrauen, sie hatte ihn auf seine Streifzüge begleitet, wo er sie lehrte, wie man Schlösser knackte, sich lautlos bewegte und seine Spuren verwischte, und manchmal hatten sie die Nacht auch einfach nur gemeinsam im Bett verbracht. Sie führten eine lockere Beziehung, die Liselle zu nichts verpflichtete und ihr dennoch eine Menge Spaß einbrachte. Bis jetzt hatte Patras auch nichts dagegen gehabt, wenn sie sich für andere interessiert hatte. Diese Seite von ihm kannte sie gar nicht.

Eine gute halbe Stunde später kehrte Patras zurück und riß Liselle aus ihren Gedanken.
"Weißt du schon, was du tun wirst?" fragte er leise.
"Nein, aber mir wird etwas einfallen, auch wenn ich meinen stärksten Trumpf nicht ausspielen kann."
"Wieso nicht?" er guckte sie verwirrt an.
Liselle erzählte ihm, woher sie ihren Verehrer kannte und wie sie mit zusammen gerasselt war. Ihre Erzählung brachte Patras zum Schmunzeln, es war so typisch für sie. Sie erklärte ihm auch, daß sie nicht daran glaubte, daß ihr Vater ihren Worten Glauben schenken würde, sondern daß es eher wahrscheinlich war, daß er seine Tochter dafür verantwortlich machte. Als sie ihre Erzählung beendet hatte, schaute sie ihn auffordernd an.
"Müssen wir wirklich den ganzen Tag darüber diskutieren? Ich muß pünktlich zum Abendessen wieder zurück sein, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit," sagte sie und lächelte ihn frech an.
"Zeit wofür?" er musterte sie gespielt anzüglich von oben bis unten.
"Dafür," sagte sie, trat einen Schritt auf ihn zu, schmiegte sich an ihn und hauchte ihm einen Kuß auf die Lippen.
Patras zog sie enger an sich und erwiderte ihren Kuß, während er langsam ihre Bluse aufknöpfte und sie in Richtung des Bettes bugsierte.
"Gute Idee," murmelte er und küßte die sanfte Haut auf ihrem Schlüsselbein.

"Wie spät ist es," murmelte Liselle, als sie aus einem leichten Schlaf erwachte.
"Ungefähr halb vier," erwiderte Patras und strich ihr sanft über den Rücken.
Liselle stand auf und zog sich im schummerigen Licht an während Patras sie vom Bett aus beobachtete. Sie wußte, daß er es mochte, wenn sie sich ohne jegliche Scham vor ihm bewegte.
"Wann sehe ich dich wieder, meine Süße?" fragte er sanft.
"Bald," versprach sie, beugte sich noch einmal zu ihm herunter und küßte ihn zum Abschied bevor sie sich auf den Heimweg machte.

Kaum war sie aus der Tür getreten, fand sie sich auch schon auf dem Rücken auf der Straße liegend wieder. Jemand hatte sie umgerannt und lag nun halb auf ihr.
"Ihr schon wieder? Macht Euch gefälligst runter von mir!" fauchte sie Elrond an, schubste ihn von sich runter und rappelte sich auf.
"Kann ich ihn dieser Stadt keinen Schritt mehr tun ohne überall über Euch zu stolpern? Was habt Ihr überhaupt hier verloren?" fauchte sie weiter, während sie den Staub von ihrer Kleidung klopfte.
"Die gleiche Frage könnte ich Euch wohl auch stellen," gab er patzig zurück und rappelte sich ebenfalls wieder auf.
"Entschuldigt bitte, daß ich in dieser Stadt wohne und ich gehe dahin wo es mich beliebt," rief sie laut.
Eine Antwort gab die nächste und so standen sich die beiden gegenüber, funkelten sich wütend an und tauschten eine Beleidigung nach der nächsten auf. Während sie sich ankeiften und anfauchten, gingen immer mehr Fenster auf, sie waren gut zu hören und den Aufruhr ließ sich natürlich niemand entgehen. Liselle war schmerzlich bewußt, daß sie nicht nur vor dem Haus ihres Geliebten standen, sondern daß dieser wahrscheinlich auch jedes Wort mitbekommen würde.
"Wer glaubt Ihr eigentlich, wer Ihr seid? Und wenn Ihr tausendmal die Tochter eines Barons seid, Ihr seid doch nichts weiter als ein verwöhntes Blag, daß Papas Geld auf den Kopf haut und nichts anderes im Kopf hat als teure Kleider und edlen Schmuck!" schleuderte ihr Elrond mit wutverzerrtem Gesicht entgegen.
Liselle starrte ihn mit offenem Mund an. Er hielt sie doch allen Ernstes für eine typische Adlige, die den ganzen Tag mit Sticken, Tratschen und Einkaufen verbrachte!! Sie konnte nicht anders, sie brach in schallendes Gelächter aus. Verwirrt, aber immer noch wütend, starrte Elrond sie an, es war offensichtlich, daß er nicht verstand, was daran so lustig sein sollte. Alleine schon die Kleidung, die sie trug, hätte ihm eigentlich verraten müssen, daß er sich mit seiner Einschätzung ihrer Person auf dem Holzweg befand.
"Entschuldigt, aber könnt Ihr uns vielleicht den Weg zu der Herberge "Schwert und Panzer" zeigen?" unterbrach Elronds Begleiter Liselles Lachen.
Sie hatte ihm bis jetzt keine Beachtung geschenkt, wie auch, sie war ja zu beschäftigt damit gewesen, ihren Möchtegern-Verehrer anzubrüllen. Er kam ihr seltsam bekannt vor.
"Wer seid Ihr denn?" fragte sie.
"Mein Name ist Fayt Leingod und im Moment arbeite ich für die Stadtgarde," stellte er sich vor.
Diesen Namen hatte sie bereits einmal gehört, das war doch der Kerl, den sie vor ein paar Tagen in den Kerker hatte bringen lassen nachdem er Zoe fast umgerannt hatte. Es schien ihm wohl nicht geschadet zu haben und bei den Ereignissen der letzten Tage verwunderte Liselle es nicht einmal mehr, daß die beiden sich kannten. "Da haben sich ja die richtigen gefunden," dachte sie hämisch bei sich.
"Kennt Ihr denn den Weg dahin, wir haben uns nämlich hoffnungslos verlaufen," fuhr Fayt respektvoll fort.
"Sicher kenne ich den Weg, wartet einen Moment hier," teilte sie den beiden knapp mit und ließ sich von Sam erneut die Türe öffnen. Sie mußte mit Patras reden, er war schließlich nicht taub und das Geschrei war kaum zu überhören gewesen. So eilte sie die Treppe hinauf und in Patras Zimmer. Der kam ihr bereits entgegen, hob sie leicht hoch und stellte sie wie einen Stuhl neben der Türe wieder ab, um an ihr vorbeizustürmen und rief dabei, daß er diesem Kerl eins auf seine große Klappe hauen wolle.
"Saaam," rief Liselle gellend. "Halt ihn auf, um der Götter Willen, halt ihn bloß auf!" Sie rannte Patras hinterher, der vor der Haustür in Sam gerannt war und von diesem mit sanfter, aber bestimmter, Gewalt in die Küche gedrängt wurde. Von draußen waren ebenfalls Stimmen zu vernehmen und Liselle hörte Worte wie "Niemals", "verdammt gutaussehend aber zickig", "schönen Körper" und "niemals will ich den Rest meines ...", beachtete sie allerdings nicht weiter. Als sie in die Küche trat, hatte Sam Patras auf einen Stuhl gezwungen und stand breitbeinig vor ihm. Liselle schlängelte sich an ihm vorbei und baute sich mit in die Hüften gestemmten Händen vor dem wutschnaubenden Patras auf.
"Jetzt beruhig dich doch mal wieder! Du wirst da draußen jetzt bestimmt keine Keilerei anzetteln! Hast du dabei vielleicht auch mal an dich und auch mich gedacht? Irgendwer würde da unter Garantie die Garde rufen und das ist das letzte, was du dir leisten kannst, das weißt du genau. Und was meinst du, wie meine Chancen stehen, meinem Vater diese schwachsinnige Idee auszureden, wenn er zu Ohren bekommt, daß der tolle Fang und ich in eine Straßenkeilerei mit einem der gesuchtesten Diebe Gareths verwickelt wurden?" redete sie ihm ins Gewissen, ihre eigene Wut knapp unter Kontrolle haltend.
Patras saß vor ihr, ließ die Schultern sinken und wirkte wie ein gescholtener Schuljunge.
"Du hast ja recht," murmelte er. "Aber allein die Vorstellung, daß du und dieser ... dieser ... Kerl ...".
"Mach dir keine Sorgen, ich schaffe das schon. Diese Hochzeit wird nicht statt finden, so wahr ich vor dir stehe," versicherte sie ihm noch einmal und küßte ihn zur Bestätigung besänftigend.
"Sam, paß auf, daß er keine Dummheiten macht," bat sie den Leibwächter ihres Geliebten bevor sie die Küche verließ.

"Folgt mir!" herrschte sie die beiden Kerle an, die draußen auf der Straße standen, an und eilte an ihnen vorbei ohne sich noch einmal umzuschauen, ob sie ihrer Aufforderung auch wirklich Folge leisteten. Sie wählte den kürzesten Weg zum "Schwert und Panzer", schritt mehr als zügig aus so daß die beiden Mühe hatten ihr zu folgen und bemerkte nicht einmal Zoe, die mit gerafften Röcken und rufend hinter ihnen herhetzte. Die seltsame Prozession lief in dem Augenblick an dem Geschäft eines Hutmachers vorbei, als Zoe wieder auf die Straße trat und kurzentschlossen eilte sie den dreien hinterher. Der Einzige, der auf ihr Rufen reagierte, war Fayt, der ihr lediglich zuwinkte und mit den Schultern zuckte.

Vor der Söldner-Herberge angekommen, hielt Liselle endlich an, drehte sich mit einem Gesicht wie drei Tage Donnerwetter herum und deutete mit der Hand auf den Eingang.
"Da sind wir und nun geht mir aus den Augen," sagte sie eisig.
"Nichts lieber als das," giftete Elrond zurück und betrat die Taverne.
"Wo kommst du denn her?" erstaunt blickte Liselle Zoe an, die mit gerafften Rocken und sichtlich außer Atem neben Fayt stand. Doch ohne eine Antwort abzuwarten, packte sie Zoe am Arm und zog sie davon ohne sich noch einmal umzudrehen. Hätte sie einen Blick zurück geworfen, dann hätte sie Andra im ersten Stock am Fenster stehen sehen, die ihr nachdenklich hinterherstarrte und dabei den Kopf schüttelte. Stattdessen erzählte sie Zoe, was jetzt wieder vorgefallen war und warum sie ohne nach rechts und links zu schauen mit den beiden im Gefolge durch die Straßen gehetzt war. Dabei fielen sehr oft Sätze wie "Was meint der Kerl, wer er sei?" oder "Von Manieren hat der auch noch nie was gehört!" und "Wenn der auch nur glaubt, ich würde ihn freiwillig heiraten! Eher bringe ich mich um!". Zoe lächelte versonnen, während Liselle ihrem Unmut Luft machte.

Ihr blieb nicht mehr allzuviel Zeit, sich für das geplante Abendessen fertig zu machen. Sie hatte im Vorbei gehen bei James einen Drink bestellt, möglichst etwas mit viel Alkohol, das brauchte sie jetzt zur Beruhigung. Als es klopfte, ging sie davon aus, daß es James war, der ihr den gewünschten Drink brachte.
"Herein," rief sie während sie sich fragte, was sie anziehen sollte.
"Hallo mein Liebes," sagte der Baron, als sich Liselle sich ihm zuwandte, und drehte ein leeres Glas in seinen Händen.
"Guten Abend Vater. Möchtest du etwas?" erwiderte Liselle.
"Hmm. Wie wäre es, wenn du das rote Kleid dort anziehst, das steht dir doch so ausgezeichnet?" der Baron deutete auf eines ihrer Kleider, natürlich genau das mit dem größten Ausschnitt, daß sie besaß.
"Hmm," machte Liselle. "Es jetzt noch bügeln zu lassen würde zu lange dauern."
Der Baron blickte leicht enttäuscht drein, doch das interessierte Liselle nicht. Sie wußte zwar nicht, was genau sie anziehen würde, doch bestimmt würde es kein Kleid sein, daß ihre Reize noch extra betonte.
"Du wirst schon etwas hübsches finden," sagte der Baron und klopfte ihr auf die Schulter bevor er das Zimmer wieder verließ.
Nun wußte sie, was sie anziehen würde. Sie entschied sich für ein schwarzes Kleid aus Samt, dessen Oberteil über einen moderaten Ausschnitt verfügte und das unterhalb der Brust geschnürt wurde. Der Rockteil fiel gerade nach unten, die Ärmel waren weit und mit silberner Seide umfaßt. Schlicht aber dennoch elegant und dem Anlaß angemessen.
"Ich seh aus als würde ich zu meiner eigenen Beerdigung gehen," sagte sie zu ihrem Spiegelbild, während sie ihre langen Haare zu einer schlichten Zopffrisur aufsteckte.

Dienstag, April 26, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VI (2)

(Zweiter Teil)

Plötzlich hallte eine Fanfare durch den Saal und brachte die Gespräche zum Verstummen. Alle Köpfe wandten sich zum Eingang.
„Euer Gnaden, Perolus von Hal, Kaiser des Mittelreiches!“ verkündete der Ausrufer pompös und ließ seinen Stab auf den Boden knallen.
Sofort setzte Raunen und erstauntes Murmeln unter den geladenen Gästen ein, es war nicht bekannt gewesen, dass selbst der Kaiser anwesend sein würde. Das machte den Ball natürlich zu einem Großereignis, von dem man in Jahren noch sprechen würde. Liselle warf einen zweifelnden Blick auf Elrond.
„Bitte, keine Fehler. Laßt ihn keine dummen Fehler machen, ihr Götter,“ flehte sie in Gedanken.
Die Damen der Gesellschaft versanken in einen Hofknicks, die Herren verbeugten sich galant als der Kaiser durch die Menge schritt. Es gehörte sich, daß der Herr dabei die Hand der Dame hielt, die ihn begleitete. Gerade als die kaiserliche Hoheit auf Liselles und Elronds Höhe war, passierte es. Elrond schien das Gleichgewicht zu verlieren, hielt ihre Hand krampfhaft in seiner. Doch den Göttern sei dank, die beiden purzelten dem Kaiser nicht vor die Füße. Es wäre ihr Ende gewesen, hätte sie sich derart blamiert.
„Reißt Euch gefälligst zusammen!“ zischte sie Elrond verstohlen zu.
Der Ausrufer gab bekannt, daß sich das Bankett noch ein paar Minuten hinauszögern würde. Niemand schenkte dieser Ankündigung große Beachtung, denn niemand erwartete wirklich, daß das Bankett pünktlich beginnen würde. Schließlich taten sie das nie. Die Tatsache, daß der Kaiser anwesend war, sorgte für wesentlich mehr Gesprächsstoff und so hörte man überall „Der Kaiser selber ist dort, hat denn niemand davon gewußt?“

Aus den paar Minuten wurde fast eine halbe Stunde bis der Ausrufer durch eine Fanfare wieder auf sich aufmerksam machte und die Reihenfolge bekannt gab, in der man in den Bankettsaal schreiten würde. Vorneweg natürlich der Kaiser, gleich dahinter Elvion Feuerglanz samt Gemahlin, gefolgt von der Zwergin Andra. Danach sagte der Ausrufer Elrond Feuerlilie und Liselle von Oltenburg, Tochter des Barons von Oltenburg an. Liselle blieb das Herz vor Schreck stehen.
„Laßt mich das heil überstehen, bitte!“ die Zahl der stummen Stoßgebete nahm in den letzten Minuten drastisch zu.
Elrond bot ihr den Arm, den Liselle ergriff, und dann reihten sich die beiden hinter Andra ein. Als sie an Liselles Vater vorbeikamen, fing sie einen Blick auf, der ihr ganz klar mitteilte „Kind, versau das nicht“. Nicht, daß ihr Vater jemals solche Ausdrücke verwenden würde, Liselle war klar, welche Ehre ihrer Familie gerade zuteil wurde. Nicht nur das, die Ehre ihrer Familie hing jetzt ganz von ihr ab. Zu sagen, daß sie sich bei diesem Gedanken nicht wohl fühlte, wäre reine Untertreibung gewesen. Auch als sie Zoes Gesicht in der Menge erblickte und in deren Augen sah, daß sie ihren Begleiter durchaus erkannt hatte, konnte sie nur leicht mit den Achseln zucken. Zoe würde wissen, daß nach dem Ball noch eine lange Diskussion anstand, vorausgesetzt, sie überstand dieses Desaster unbeschadet. Als die Prozession durch die großen Flügeltüren in den festlich geschmückten Bankett-Saal einzog, erwartete Liselle der nächste Schock. Der Kaiser und die Ehrengäste würden an einem erhöhten Tisch sitzen, der quer zu den drei langen Reihen der anderen Tische stand.
„Jeder wird mich sehen können! Das kann nicht gut gehen, das wird ein Desaster ohne gleichen geben,“ bei diesem Gedanken wurde sie ein wenig bleich.

Sie nahmen Platz an der reich und festlich geschmückten Tafel. Elvion und Gemahlin saßen direkt neben dem Kaiser und Andra wurde daneben plaziert, auf ihrer anderen Seite saß Elrond. Direkt neben ihm saß Liselle und fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. Zu ihrem Erstaunen unterlief Elrond während des Essens nicht der kleinste Fehler.
„Entweder er ist ein Naturtalent, was ich nicht glaube, er hat gelogen und dies ist nicht sein erster Ball oder aber hier ist irgend etwas faul,“ dachte sich Liselle während sie Elrond verstohlen von der Seite betrachtete.
Eine geraume Weile später beendete der Kaiser sein Mahl und hielt eine kleine Rede, in der er sich unter anderem bei den Verantwortlichen für ein gelungenes Fest bedankte und wünschte den Versammelten viel Spaß bei dem vergnüglichen Teil des Abends. Musik spielte auf und der Tanz war eröffnet.
„Darf ich bitten, meine Dame?“ fragte Elrond galant.
„Gerne,“ erwiderte Liselle und nahm die ihr dargebotene Hand und ließ sich von Elrond auf die Tanzfläche führen. Auch wenn er vorher gewarnt hatte, er würde ihr auf die Füße treten, zu sagen, er wäre ein leidlicher Tänzer wäre ihm nicht gerecht geworden. Er hatte eine fließende Art sich zu bewegen und führte sie sicher und dennoch leicht über das Parkett. Auch wenn Liselle das nie zugegeben hätte, sie genoß das Tanzen mit ihm.
„Wer bin ich denn, wenn ich auch noch anfange, ihm Komplimente zu machen,“ sagte sie in Gedanken zu sich.
Stattdessen erbat sie sich eine Pause und er führte sie zum Rand der Tanzfläche bevor er mit eine andere Dame zum Tanz aufforderte. Mit einem leisen Bedauern sah sie ihn im Getümmel verschwinden. Dort stand sie auch, in Gedanken darüber versunken, daß der Abend sich doch nicht als die Katastrophe ihres jungen Lebens entpuppt hatte, als sie ihre Mutter mit einem ernsten Gesicht auf sich zukommen sah.
„Ich habe schlechte Neuigkeiten für dich, mein Kind,“ eröffnete die Baronin ihrer Tochter.
„Was ist passiert Mutter? Hat mein Benehmen Anlaß zur Klage gegeben?“ erkundigte sich Liselle besorgt.
„Nein, ganz im Gegenteil, mein Kind. Wir sind sehr stolz auf dich. Dein Vater ist vielleicht ein wenig zu stolz, er spricht gerade mit Andra. Er findet, deine Begleitung wäre ein passender Ehemann für dich,“ führte die Baronin aus.
„Wie bitte?!“ Liselle glaubte, sich verhört zu haben. „Das kann nicht sein Ernst sein Mutter!“
„Beruhige dich, ich werde ihm noch einmal ins Gewissen reden,“ versuchte die Baronin ihre entsetzte Tochter zu beschwichtigen, bevor sie sich wieder auf die Suche nach ihrem Ehegemahl begab.
Liselle war alles andere als beruhigt. Sie kannte ihren Vater, hatte sich dieser erst einmal etwas in den Kopf gesetzt und es für eine gute Idee befunden, war er schwer wieder davon abzubringen. Ihre Sorge wurde auch durch Andras Miene nicht weniger. Die Zwergin hielt direkt auf sie zu und Liselle ahnte, daß sie jetzt nichts Gutes zu hören bekommen würde.
„Hat Euer Vater den Verstand verloren?“ blaffte die Zwergin Liselle an. „Das ist ja wohl die größte Schnapsidee, die sich jemals in seinem Kopf verirrt hat!“
„Ich nehme an, Ihr seid ebensowenig begeistert wie ich von der Vorstellung einer Heirat,“ erwiderte sie äußerlich gelassen.
„Nicht begeistert?! Euer Vater redet bereits mit Elrond, der die Idee wohl ebenfalls gut findet,“ schnaubte die Zwergin. „Was mich im Moment auch nicht wirklich wundert,“ murmelte sie leise.
„Wie meint Ihr das, Andra?“ hakte Liselle nach.
„Ach, schon gut. Ich habe lediglich laut gedacht,“ wich Andra aus.
Liselle ging nicht weiter auf die Bemerkung ein, sie hatte andere Sorgen. Sie versuchte, ihren Vater in dem Getümmel ausfindig zu machen. Die Zwergin hatte recht, der Baron sprach in der Tat mit Elrond. Sie mußte einschreiten, bevor ihr Vater sich vollends verrannt hatte.
„Da bist du ja, ich wollte dich gerade suchen, mein Kind,“ stolz strahlte ihr Vater sie an, als Liselle zu den beiden stieß.
„Ich hoffe, ich störe euch nicht bei eurem Gespräch,“ erwiderte Liselle höflich, aber kühl.
„Nein, nein. Ich habe gute Nachrichten für dich! Da du ja jetzt mit deinen siebzehn Jahren im heiratsfähigen Alter bist und dein Begleiter offensichtlich Interesse an dir gefunden hat, wie wäre es wenn wir heute abend eure Verlobung bekannt geben?“ ihr Vater strahlte sie an, als hätte er ihr gerade das gesamte Mittelreich zum Geschenk gemacht.
„Vater, kann ich dich bitte unter vier Augen sprechen?“
„Sicher, ist etwas nicht in Ordnung?“
„Entschuldigt uns bitte kurz,“ wandte sich Liselle an Elrond bevor sie ihren Vater ein Stück wegzog.
„Und, was hältst du von dieser Idee?“ fragte ihr Vater eifrig.
„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist," wandte Liselle ein.
"Ja, warum denn nicht?"
"Wir kennen uns doch gar nicht! Sollten wir nicht erst einmal herausfinden, ob wir uns überhaupt mögen bevor eine Verlobung in Erwägung gezogen wird?"
"Ach was. Deine Mutter und ich kannten uns auch nicht vorher und sieh doch, wir sind immer noch glücklich verheiratet."
"Aber was wissen wir denn über ihn? Wer ist er und wo kommt er her? Aus welcher Familie stammt er?" Liselles Ton kletterte einige Nuancen nach oben.
"Er wird bestimmt aus einer angesehenen Familie stammen, schau dir immerhin an, unter wessen Fittiche er steht und mit welchen Leuten er hergekommen ist," schmetterte ihr Vater auch diese Einwände ab.
"Was sagt denn Mutter überhaupt dazu?" Liselle spielte ihren stärksten Trumpf aus.
"Deine Mutter war auch erst nicht begeistert darüber, aber nachdem wir noch einmal darüber diskutiert hatten, schien sie der Idee auch sehr gewogen zu sein," erklärte der Baron.
"Das darf doch nicht wahr sein, selbst meine Mutter hat sich gegen mich verschworen?" empörte sich Liselle in Gedanken.
"Nun komm, ich habe eine Bekanntmachung zu erledigen," sagte der Baron und zog seine widerstrebende Tochter in Richtung des Ausrufers.

Bang beobachtete Liselle wie der Baron mit dem Ausrufer sprach. Sie konnte ihrem Vater nicht sagen, daß der junge Mann, für den er sich so begeisterte, der Flegel war, mit dem sie auf offener Straße aneinander geraten war. Sie bezweifelte, daß er ihr in seinem Überschwang glauben würde. Außerdem war es besser, diesen Vorfall nicht noch einmal zu erwähnen. Sie hoffte inständig, daß ihr Vater nicht wirklich eine Verlobung ausrufen lassen würde. Alles, was Rang und Namen hatte, war heute hier versammelt und eine solche Ankündigung würde sich nicht nur wie ein Lauffeuer durch ganz Gareth verbreiten, sie wäre auch bindend. Da würde sie sich nicht so einfach herauswinden können und eine Heirat war das letzte, was sie sich wünschte, da dies bedeuten würde, daß ihr Leben, wie sie es bis jetzt kannte, enden würde.
Das laute Krachen, daß der Stab des Ausrufers verursachte, brachte die Menge zum Verstummen. Liselle wäre am liebsten im Boden versunken, doch leider tat sich dieser nicht einfach auf und verschlang sie.
"Es wurde mir zugetragen und es ist mir eine Ehre verkünden zu dürfen, daß sich heute hier zwei Herzen gefunden haben," donnerte die tiefe Stimme des Ausrufers durch den Saal. "Baron von Oltenburg macht hiermit bekannt, daß sich seine Tochter und Elrond Feuerlilie zugetan sind."
Liselle atmete hörbar auf. Keine offizielle Verlobung, sondern nur, daß Interesse an einer solchen vorhanden war. Da würde sie schon einen Weg heraus finden. Dann wurde sie auch schon in die Mitte der Tanzfläche geschoben zum traditionellen Tanz mit ihrem Verehrer. Elrond verbeugte sich elegant vor ihr, die Musik setzte ein und die beiden tanzten miteinander.
"Was habt Ihr Euch dabei eigentlich gedacht?" zischte Liselle ihm leise zu.
"Ich?" fragte er unschuldig.
"Ja, wer denn sonst? Sehr Ihr sonst noch jemanden, mit dem ich gerade tanze?" gab sie spitz zurück.
Nach dem Tanz drängten sich auch die anderen wieder auf die Tanzfläche und Elrond führte sie zu ihrer Familie zurück.
"Ach Liselle, ich freue mich so für dich!" beglückwünschte sie Lionel überschwenglich. "Da hast du ja einen wunderbaren Mann ausgesucht."
Liselles gequälte Blicke sprachen Bände, allerdings in einer Sprache, die Lionel nicht zu verstehen schien. Heral dagegen verstand sie sehr deutlich und so willigte er auch ein, mit ihr kurz nach draußen auf den Balkon zu gehen.
"Heral, du mußt Vater das ausreden!" flehte sie ihren Bruder an.
"Ich?"
"Warum fragt heute eigentlich jeder mit Unschuldsmiene, ob ich ihn meine? Sicher du, du bist mein ältester Bruder, Vater wird deine Einwände zur Kenntnis nehmen!"
"Habe ich denn welche?"
"Heral, dieser Kerl, der Vater um den Finger gewickelt hat, ist auch der ungezogene Rüpel, mit dem ich auf offener Straße aneinander geraten bin und der im Kerker geendet wäre, wenn Andra nicht eingegriffen hätte," klärte sie ihren Bruder auf, sie brauchte wenigstens einen Verbündeten.
"Oh," entfuhr es Heral.
"Richtig, oh! Du kannst dir also vorstellen, wie begeistert ich von diesem ganzen Gerede von gefundenen Herzen und Verlobung bin."
"Tut mir leid, Schwesterherz. Aber da wirst du alleine wieder rausfinden müssen, ich kann dir dabei nicht helfen. Alles, was Vater sieht, ist ein junger Mann mit Manieren und offensichtlich aus gutem Hause, das weitreichende Verbindungen zu haben scheint. Du weißt, er wünscht sich für dich einen Ehemann, der es wert ist, dich zur Frau zu haben, und in deiner Straßenbekanntschaft scheint er einen geeigneten Kandidaten zu sehen. Ich wüßte nicht, wie ich ihm das ausreden soll," Heral zuckte bedauernd die Achseln, er wußte, daß Liselle die Aussicht, ein Leben als brave Ehefrau führen zu müssen, nicht zu Begeisterungsstürmen hinriß.
"Ich bin enttäuscht von dir," fauchte sie, ließ ihren Bruder einfach stehen und machte sich auf die Suche nach Zoe.

"Was hast du jetzt vor? Das ist doch immerhin der Kerl, der uns damals so unhöflich angepöbelt hat und sich nicht einmal entschuldigen wollte, oder?" fragte Zoe.
"Das ist er allerdings," schnaubte Liselle. "Ich weiß es nicht, jetzt kann ich nicht viel machen, aber irgendwie werde ich mich da schon herauswinden. Jetzt heißt es erst einmal diesen vermaledeiten Ball zu überstehen."
Zoe sah sie mitfühlend an, sie konnte verstehen, was Liselle so aufbrachte. Sie hatte die letzten Tage immerhin einen kleinen Einblick in ihr Leben bekommen und es war nachvollziehbar, daß Liselle das nicht aufgeben wollte. Dafür hatte sie damit viel zu viel Spaß und sie würde sich zu Tode langweilen, wenn sie nur noch die Pflichten einer Ehegattin zum Lebensinhalt hätte. Zoe geleitete Liselle zu ihrer Familie bevor sie sich von ihrem Begleiter Max wieder auf die Tanzfläche entführen ließ, die sie den ganzen Abend über kaum verlassen hatte.

Geraume Zeit später stieß Elrond wieder zu den von Oltenburgs, gefolgt von der Zwergin Andra.
"Entschuldigt uns bitte, aber mir geht es nicht gut. Wohl zuviel gegessen. Wie auch immer, ich werde jetzt nach Hause fahren und Elrond wird mich begleiten, wenn ihr nichts dagegen habt," entschuldigte sie sich.
"Aber nein," beeilte sich der Baron zu versichern. "Ich hoffe, es ist nichts schlimmes?"
"Nein, nein, nur ein Unwohlsein," sagte Andra brummig.
Elrond verabschiedete sich mit einer eleganten Verbeugung von ihr und die beiden starrten sich feindselig an. Liselle war froh, diesen unmöglichen Menschen für heute nicht mehr sehen zu müssen.
"Vater, die beiden sind aber ein schönes Paar," hörte Liselle Lionel zu ihrem Vater sagen. "Da habt ihr wirklich einen Glücksgriff getan."
Liselle hätte Lionel am liebsten gesagt, er solle die Klappe halten, besann sich aber eines besseren und schenkte ihm lediglich einen eisigen Blick, den er natürlich nicht bemerkte. Er bemerkte nie, was in Liselle wirklich vorging. Heral dagegen schon und er kicherte leise, was ihm ebenfalls einen giftigen Blick einbrachte.

Auch die von Oltenburgs blieben nicht mehr lange auf dem Ball. Auf der Heimfahrt schwieg Liselle, sie hatte keine Lust Hochzeitspläne zu schmieden. Kaum zu Hause angekommen, stürmte Liselle hinauf in ihr Zimmer und warf die Tür mit soviel Elan zu, daß sie bedrohlich knackte. Sie zog ihre Schuhe aus und trat sie achtlos unter das Bett, die teure Ballrobe wurde achtlos auf den Boden geworfen bevor sie sich in ihr Bett verkroch. Der Schlaf ließ auf sich warten, so aufgebracht wie sie war. Sie vertrieb sich die Zeit damit, darüber nachzudenken, wie sie aus dieser Situation wieder herauskam. Zuversichtlich schlief sie dann endlich ein, diese Hochzeit würde sie zu verhindern wissen, selbst wenn ihr noch nicht ganz klar war, wie genau.

Montag, April 25, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel VI (1)

(Erster Teil)

29 n. Hal - 14. Tag im Monat des Phex
(Tag des großen Balls)

Im Morgengrauen schlichen sich Zoe und Liselle zur Küchentür. Sie hatten die ganze Nacht durch gefeiert. Durch den Haupteingang konnten sie schlecht ins Haus, schließlich war heute der große Tag des langerwarteten Balls und ihre Eltern würden ebenso früh auf den Beinen sein wie sie beide, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Vorsichtig lugte Liselle durch das Fenster der Küche um herauszufinden, wer sich dort aufhielt. Nur Maria befand sich in der Küche und so öffnete Liselle leise die Küchentür.
"Maria, wo ist mein Vater?"
"Die Frage ist eher, wo kommst du jetzt her?" fragte Maria lakonisch.
"Von draußen?" grinste Liselle.
"Das sehe ich. Dein Vater wird gleich das Haus verlassen," entgegnete Maria. "Es wäre keine gute Idee, ihm in diesen Aufzug über den Weg zu laufen.
Plötzlich bewegte sich die Klinke der Tür zum Speisezimmer und Maria schubste sie geistesgegenwärtig wieder nach draußen und schloß energisch die Tür vor Liselles Nase ohne großartig Rücksicht darauf zu nehmen, daß sich Liselles Kopf im Weg befand.
"Oh, das war knapp. Fast hätte uns mein Vater erwischt," erklärte Liselle Zoe und rieb sich den schmerzenden Kopf. Vorsichtshalber zog sie Zoe von der Küchentür weg, von ihrem Vater dabei erwischt zu werden, daß sie im Morgengrauen derangiert ins Haus schlichen, war alles andere als ein guter Start in den Tag.

Zehn Minuten später holte Maria die beiden ins Haus, schüttelte den Kopf und fragte, wann sie denn geweckt werden wollten damit sie sich für den großen Abend fertigmachen konnten. Die Vorbereitungen für einen Ball nahmen immerhin eine ziemliche Zeit in Anspruch.
"Weck uns so gegen Mittag bitte," sagte Liselle, drückte Maria noch einmal kurz und verschwand auf ihrem Zimmer, wo sie sich nur noch ihrer Kleidung entledigte und ohne weiteres in ihr Bett kroch.

Wie sie es gewünscht hatten, wurden sie zur Mittagszeit geweckt. Liselle fühlte sich komisch, auch wenn sie nicht viel getrunken hatte. Sie schob das auf die Tatsache, daß sie von Maria die Tür vor den Kopf geschmissen bekommen hatte. Zusammen mit Zoe nahm sie ein leichtes Frühstück ein als die Magd mit einem Brief an Zoe das Speisezimmer betrat.
"Für Euch, Mylady, vom Grafen Max von Hochstetten," mit diesen Worten übergab sie Zoe den Brief.
Zoe schaute fragend zu Liselle, doch die konnte sich darauf auch keinen Reim machen.
"Der Graf läßt auch ausrichten, daß er Euch um sieben Uhr abholen wird," führte die Magd weiter aus.
"Wie, der Graf wird uns abholen?" fragte Liselle erstaunt.
"Nein, nur Eure Freundin, so habe ich ihn verstanden."
Zoe öffnete das Siegel, las den Brief und reichte ihn dann Liselle rüber,

Meine verehrte Lady Zoe,

wie vereinbart werde ich Euch dann um sieben Uhr abholen um mit Euch zusammen den Ball zu genießen. Bis dahin verbleibe ich Euer

Max von Hochstetten

"Sag mal, hast du dem Grafen zugesagt, daß du mit ihm auf den Ball gehst?"
"Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Da war irgend etwas, aber ich kann mich nicht klar daran erinnern," erklärte Zoe.
"Naja, dann hast du wenigstens eine Begleitung," grinste Liselle. "Und nun komm, wir müssen uns fertig machen, sonst werden wir nie fertig."

Der Nachmittag verging wie im Fluge und die Mädchen probierten Kleider an, probierten verschiedene Frisuren aus, diskutierten über passenden Schmuck und schminkten sich. Immer wieder war Gelächter und Gekicher aus Liselles Zimmer zu vernehmen. Kurz vor sieben waren die Mädchen dann auch fertig und warteten im Salon darauf, daß Max von Hochstetten Zoe abholen würde. Pünktlich um sieben ging die Türglocke und James kündigte Zoes Begleiter an. Liselle wünschte ihr viel Spaß, man würde sich auf dem Ball wieder sehen.

Während sie noch in der Eingangshalle stand, sah sie James hektisch durch die Halle flitzen und ihren Vater ebenso hektisch fuchtelnd auf der Treppe stehen.
"Wo ist mein Sams? Sind meine Schuhe geputzt? Und ich bin auch noch nicht frisiert!" hektisch wie jedesmal, wenn er sich für eine Einladung zurecht machen mußte. Ohne James wäre Baron Oltenburg hoffnungslos verloren. Liselle ging auf ihren Vater zu, bugsierte ihn in sein Zimmer und sagte ihm, er solle sich beruhigen, sie würden schon rechtzeitig fertig werden. Und wie jedesmal wurden sie das auch, trotz der Hektik, die ihr Vater verbreitete. So bestieg man dann auch pünktlich die Kutsche, die Liselle und ihre Eltern zu dem Ball bringen sollte. Ihre Brüder nebst Anhang würde man dann auf dem Ball treffen.

"Baron von Oltenburg, Lady Oltenburg nebst Tochter Liselle von Oltenburg," rief der Bedienstete, der nur die Aufgabe hatte, bekannt zu geben wer gerade eintraf, und rammte seinen Stab auf den Boden, daß man befürchten konnte, er wolle die Fliesen zerbrechen. Nicht gerade wenige Köpfe drehten sich herum, als der Name durch die Halle schallte. Die Oltenburgs waren ohne Frage keine unbekannte Familie. Nach der pompösen Ankündigung zirkelte man von einem kleinen Grüppchen zum nächsten und redete kurz über das Wetter oder erkundigte sich, wie die Geschäfte liefen. Sehen und gesehen werden hieß die Devise hier, das große Schaulaufen versprach unterhaltsam zu werden. Weniger einflußreiche Leute versuchten sich in der Nähe des alteingesessenen Adels aufzuhalten und möglichst mit ihnen im Gespräch gesehen zu werden und der höhere Adel versuchte alles, diesen Leuten möglichst aus dem Weg zu gehen. So wimmelte Liselle mehrere potentielle Verehrer ab und machte sich durch das Getümmel auf die Suche nach Zoe. Nach ein paar Minuten wurde sie fündig und erkundigte sich, wie es ihrer Freundin ging. Zoe schien eine Menge Spaß zu haben und knüpfte neue Kontakte, wo sie auch stand und ging. Liselle verabschiedete sich lachend und gesellte sich zu ihren Brüdern.
"Na, was macht denn dein Unterricht?" fragte Lionel sofort nach der Begrüßung, diese Frage war so typisch für ihn, daß Liselle Heral anblickte und die Augen verdrehte.
"Wie immer," antwortete sie also kurzangebunden in der Hoffnung, daß Lionel ihr diesmal den Vortrag über die Wichtigkeit einer guten Bildung ersparen würde. Diesen Gefallen tat ihr Lionel allerdings nicht und so stand Liselle ihm gegenüber und ließ seine Worte an ihrem Ohr vorbeiplätschern. Diesen Vortrag kannte sie schon fast auswendig, so oft hatte sie ihn gehört. Während sie Aufmerksamkeit heuchelte, blickte sie sich unauffällig um auf der Suche nach weiteren bekannten Gesichtern. Da donnerte der Ausrufer plötzlich seinen Stab so fest auf den Boden, daß Liselle zusammen zuckte. Die Ehrengäste samt Ehegatten und einem ganzen Gefolge von Freunden war eingetroffen und wurde mit dem entsprechenden Pomp angekündigt. Wie alle anderen schaute auch Liselle neugierig zu den Ehrengästen und ihrem Gefolge, unter denen jedoch bis auf die Zwergin Andra kein bekanntes Gesicht zu sehen war. Andra stach natürlich mit ihrem schlohweißen Haar hervor, was selbst für eine Zwergin ungewöhnlich war. Sie befand sich im Gefolge Elvion Feuerglanzes, von dem man sagte, er sei ein großer Magier, und nach ihren eigenen Erlebnissen mit dieser speziellen Zwergin verwunderte sie das nicht weiter. Ganz im Gegenteil, es erklärte sogar so einiges.

Liselle ging hinter ihren Brüdern zurück zu Baron von Oltenburg, der schon hektisch nach ihnen Ausschau hielt. Denn jetzt gingen die Ehrengäste zu den Familien, die mitgeholfen hatten bei der Organisation des Balles, um sich vorzustellen. Da durfte die Familie von Oltenburg natürlich nicht fehlen. Liselle war sich im klaren darüber, daß ihr Benehmen und jeglicher Fehltritt natürlich sofort Objekt der überall anwesenden Klatschbasen werden würde. Mit ein Grund, warum sie solchen offiziellen Festen meist nicht viel abgewinnen konnte.
"Und dies ist meine Tochter, Liselle von Oltenburg," mit diesen förmlichen Worten stellte der Baron seine Tochter Elvion Feuerglanz, seiner Gemahlin und Andra, der ominösen Zwergin vor. Andra ließ sich nicht anmerken, daß sie sich schon einmal begegnet waren. In Andras Begleitung befand sich ein hochgewachsener, junger Mann, der seinen Hut tief ins Gesicht gezogen hatte, so daß sein Gesicht im Schatten lag. Er trug außergewöhnlich gute und teure Kleidung, bewegte sich allerdings ein wenig unbeholfen, als ob er solche Gesellschaft nicht wirklich gewohnt wäre. Als sie dem Fremden, der ihr als Elrond Feuerlilie vorgestellt wurde, die Hand zum angedeuteten Handkuss reichte, zog dieser seinen Hut ab und Liselle erstarrte.
"Oh nein, das ist doch jetzt hoffentlich ein schlechter Scherz!" dachte sie.
Vor ihr stand der Flegel, mit dem sie vor ein paar Tagen zusammen geraten war und den nur das Eingreifen Andras davor bewahrt hatte, seinen Jähzorn im Kerker auszutoben. Nach einer Schrecksekunde fing sie sich wieder, schließlich ruhten nicht nur die Blicke ihrer gesamten Familie, sondern auch der Ehrengäste auf ihr. Er schien ebenso überrascht, hatte sich aber nicht ganz so schnell wieder im Griff wie sie.
„Nun denn, Eure Tochter ist ohne Begleitung auf dem Ball, mein Schützling ist ebenfalls ohne Begleitung hier, es wäre doch schön, wenn die beiden zusammen die Zeit verbringen. Findet Ihr nicht?“ hörte Liselle Andra zu ihrem Vater sagen.
„Da habt Ihr völlig recht!“ stimmte der Baron diesem Vorschlag zu bevor Liselle auch nur daran denken konnte zu protestieren. Der Fremde starrte sie wohl ebenso entsetzt an wie sie ihn. Trotzdem bot er ihr galant den Arm und ihr blieb nichts anderes übrig als sich bei ihm unterzuhaken. Jede andere Reaktion wäre eine Beleidigung mit den entsprechenden Konsequenzen gewesen.
„Was macht Ihr hier? Ausschau halten nach noch mehr Holz?“ zischte sie ihm giftig zu.
„Wer weiß,“ ihre Begleitung wider Willen zuckte die Schultern.

So schlenderten sie also gemeinsam über den Ball. Elrond schien sich nicht wohl zu fühlen unter all diesen Menschen und wirkte recht unsicher. Liselle fragte ihn, ob dies etwa sein erster Ball sei.
„Hmm, ja, irgendwie schon.“
„Irgendwie?“
„Gut, es ist mein erster Ball. Wundert Euch also nicht, wenn ich Euch beim Tanzen auf die Füße treten werde.“
„Na, das kann ja heiter werden,“ dachte sie während sie mit Elrond von Gruppe zu Gruppe ging und ihn vorstellte.
Dies war das wichtigste gesellschaftliche Ereignis dieser Saison in Gareth und jeder Fehler ihres Begleiters, jeder Verstoß gegen die Etikette und die Regeln, die auf einem solchen Ball herrschten, würde sofort zu einem gefundenen Fressen für die überall anwesenden Klatschbasen werden. Natürlich würde es auch auf sie und somit ihre Familie zurückfallen.
„Oh ihr Götter, das kann ja nicht mehr schlimmer werden,“ seufzte Liselle innerlich. Sie sollte sich irren.

Sonntag, April 24, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel V

29 n. Hal - 14. Tag im Monat des Phex

Am Abend vor dem Ball standen Zoe und Liselle in Liselles Zimmer und machten sich für ihren gemeinsamen Streifzug durch das Nachtleben Gareths fertig, was natürlich einiges an Zeit in Anspruch nahm. Schließlich waren sie dann doch irgendwann zufrieden mit dem, was ihnen der Spiegel zeigte und man hatte nur noch ein Problem, die beiden brauchten ein wenig Geld.
"Laß mich mal machen," sagte Liselle zu Zoe. "Warte unten in der Eingangshalle auf mich, ich bin gleich wieder da." Sprachs und verschwand in Richtung Bibliothek.
"Vater, bist du da?" fragte sie während sie an die Tür zum Studierzimmer klopfte.
"Ja, komm herein," Baron Oltenburg klang nicht sehr begeistert.
"Oh weh, da kommt noch was," dachte sich Liselle mit einem mulmigen Gefühl und trat ein.
"Kannst du mir bitte erklären, wie du dazu kommst einen derartigen Aufstand anzuzetteln und dann auch noch die Stadtgarde damit hinein zu ziehen?" donnerte der Baron los, kaum daß sie eingetreten war.
"Wie bitte?" fragte Liselle verdutzt. Das fing aber gar nicht gut an.
"Ich rede davon, daß du dich mit einem Bekannten von Andra in den Straßen angeschrien und letztendlich die Garde gerufen hast!" polterte der Baron weiter.
Liselle sah ihre Felle davon schwimmen und änderte ihre ursprüngliche Taktik. Sie stellte sich vor den Schreibtisch ihres Vater, stemmte die Hände in die Hüften und schaute ihn fest an.
"Also hör mal, er hat zu mir gesagt "ich hätte viel Holz vor der Hütte"! Das nenne ich nicht nur anzüglich, sondern auch unverschämt. Und das auch noch auf offener Straße! Oder findest du es lustig wenn man deiner Tochter so etwas an den Kopf wirft?" herausfordernd blickte Liselle ihren Vater an.
"Nun ja ..." doch weiter kam der Baron nicht.
"Ich finde durchaus gerechtfertigt, die Garde bei solch einem Verhalten zu rufen. Gerade wenn man bedenkt, daß er mich auch noch schlagen wollte!" Liselle sah, wie die Entschlossenheit ihres Vaters ins Wanken geriet.
"Nun ja, vielleicht habe ich übertrieben reagiert," räumte sie ein, um ihren Vater auf ihre Seite zu ziehen.
"Ja gut," brummelte der Baron "Und nun geh bitte, ich habe zu arbeiten."
"Hmm, da wäre noch etwas."
"Was denn jetzt schon wieder?" die Stirn des Barons legte sich wieder in Falten.
"Nichts schlimmes Vater, keine Sorge. Zoe und ich wollen ein wenig ausgehen und uns fehlt das Geld."
"Gut, gut, aber versprich mir, daß du dann endlich gehst und mich arbeiten läßt."
"Sicher Vater," sagte Liselle, als ob sie kein Wässerchen trüben könne.
"Hier sind fünf Dukaten und nun sieh zu, daß du verschwindest."
"Danke Vater," Liselle nahm die Münzen, küßte ihren Vater noch auf die Wange und wandte sich zur Tür.
"Ja, ja," brummelte der Baron und sah seiner Tochter kopfschüttelnd hinterher als diese das Zimmer verließ und leise die Türe hinter sich schloß.
"Wir können gehen," sagte Liselle als sie zu Zoe, die in der Eingangshalle schon auf sie wartete, und grinste frech.

Liselle und Zoe zogen von einer Taverne zur nächsten, tranken ein wenig, schauten sich an, wer dort war und wenn Liselle ein bekanntes Gesicht sah, erzählte sie Zoe den neuesten Klatsch und Tratsch über die betreffende Person. Diskret natürlich. Nachdem sie die Tavernen mehr oder weniger alle durch hatten, beschloß Liselle, Zoe mitzunehmen in den Dunklen Löwen, eine halb legale Einrichtung, in der nicht nur Alkohol ausgeschenkt wurde, sondern wo man auch anderen Lastern wie Drogen, schönen Frauen und dem Glücksspiel frönen konnte. In diesen Etablissements trieben sich gewohnheitsmäßig auch viele Söhne adliger Abstammung herum, meistens die jüngsten der Familie, die mit ihrer Zeit und dem Geld ihrer Eltern auch nicht viel anfangen konnten. Liselle mochte diese Gesellschaft, sie fühlte sich wohl dabei, in halblegale Welten einzutauchen. Da waren wesentlich mehr schillernde Personen zu treffen und wesentlich aufregendere Dinge zu erleben als auf den normalen gesellschaftlichen Anlässen, auf denen sie sich meistens zu Tode langweilte.

Nach einer Viertelstunde waren die beiden vor einem von außen unscheinbaren Haus angelangt. Nichts ließ vermuten, was sich hinter seinen Türen verbarg. Entschlossen klopfte Liselle. Eine Klappe öffnete sich und Sam, der Türsteher, ließ sein Gesicht in der Öffnung sehen. Er erblickte sie und wurde bleich.
"Oh nein, du kommst nach deinem letzten Auftritt sicherlich nicht mehr hier herein!" energisch verschloß Sam die Klappe wieder.
Liselle stand verdutzt vor der noch immer verschlossenen Tür.
"Was war das denn?" fragte Zoe.
"Ich habe keine Ahnung," erwiderte die verdutzte Liselle. "Naja, ich kann mich nicht so wirklich daran erinnern, wie ich bei meinem letzten Besuch nach Hause kam ..."
Liselle hob den Arm, um noch einmal zu klopfen, doch Zoe hinderte sie daran.
"Warte, laß mich das mal machen," sagte sie und schob Liselle zur Seite, hob den Arm und klopfte selber.
Die Tür ging auf, Sam sah Zoe vor der Tür stehen, seine Augen wurden groß und er öffnete die Türe.
"Ihr dürft eintreten," meinte er zu ihr und musterte sie von oben bis unten.
Doch als Liselle ihr folgen wollte, hielt er sie sanft aber doch sehr bestimmt auf, schob sie wieder über die Türschwelle und schloß die Tür vor ihrer Nase. Frustriert blickte Liselle auf die geschlossene Tür und stand unschlüssig dort herum. Das lief ganz und gar nicht wie geplant. Immer noch frustriert setzte sie sich auf die Treppe und wartete, etwas anderes blieb ihr ja auch gar nicht übrig.

Ungefähr eine halbe Stunde später öffnete sich die Tür wieder und Sam meinte zu ihr, sie hätte Glück eine solch reizende Begleitung zu haben und ließ sie eintreten. Liselle warf Zoe einen fragenden Blick zu und das verschmitzte Lächeln, mit dem Zoe sie bedachte, erzählte mehr als tausend Worte. Liselle grinste zurück und zog Zoe erst einmal in Richtung Theke.
"Was möchtest du denn trinken?" fragte Liselle ihre Begleiterin, die von dem Mann hinter dem Tresen ebenfalls sehr interessiert gemustert wurde.
"Ein Wein wäre nicht schlecht."
"Du hast sie gehört. Einen Wein für sie und einen Fruchtsaft für mich bitte," bestellte Liselle. Sie beugte sich leicht über den Tresen und strich ihrem Gegenüber sanft über die Wange, der lächelte daraufhin.
"Wie bist du eigentlich schon wieder hier herein gekommen?" wollte er wissen.
"Du kennst mich doch," lachte Liselle ihn an.
"Allerdings."
"Sag mal," Liselle setzte ihr strahlendes Lächeln auf, das seine Wirkung natürlich nicht verfehlte, "was ist beim letzten Mal eigentlich passiert. Sam sah ja aus, als ob er einen Geist erblickt hätte."
"Nun ja, du hast die gesamte Bar auseinander genommen ..."
"Wie, ich?" ungläubig starrte Liselle ihn an.
"Genau du. Laß dich also nicht vom Boss erwischen, er würde Sam und mir die Hölle heiß machen wenn er dich hier sehen würde," erklärte er während er ihnen ihre Getränke servierte.
"Ich werde zusehen, daß ich ihm nicht über den Weg laufe," versprach Liselle.
Sie nahm ihr Glas und schaute sich ein wenig um, ob sie jemand Bekanntes sah. Ihr fiel Max von Hochstetten ins Auge, den Sohn eines Grafen, mit dem sie einmal ein Techtelmechtel hatte. Er war kein übler Kerl, aber ihr war seine Angeberei ein wenig auf den Geist gegangen. Er hatte sich die ganze Zeit damit gebrüstet, daß er einmal Jandra Björnson, eine der Ehrengäste auf dem morgigen Ball, begegnet war. Nichtsdestotrotz konnte er sehr amüsant sein und so gesellte sie sich zu ihm.
"Du hier? Wie bist du jetzt schon wieder hier herein gekommen?" fragte Max sie.
"Na, du kennst mich doch," erwiderte Liselle und lächelte ihn kokett an.
"Wer ist denn deine Begleiterin?" wollte Max wissen, sein Blick hing wie gebannt an Zoe.
Liselle nahm seinen faszinierten Gesichtsausdruck amüsiert zur Kenntnis und fragte ihn ganz unschuldig, ob ihm Zoe gefallen würde.
"Was für eine Frage. Natürlich."
"Vergiß es, die Frau wirst du nicht herum bekommen," lachte Liselle ihn an.
"Wir werden sehen," mit einem ominösen Lächeln ging Max auf Zoe zu und Liselle stellte die beiden einander vor.
"Darf ich Euch auf einen Drink einladen?" richtete sich Max an Zoe.
"Gerne," Zoes Lächeln hätte Eisberge zum Schmelzen gebracht.
Die drei zogen sich mit ihren Getränken in eine ruhige Ecke zurück und obwohl Liselle keinen Alkohol trank da sie nicht unbedingt mit Kopfschmerzen und Übelkeit auf den Ball gehen wollte, wurde es ein ziemlich amüsanter und auch freizügiger Abend. Seltsamerweise konnten sich weder Liselle noch Zoe danach an Details erinnern, was genau eigentlich so amüsant gewesen war.

Samstag, April 23, 2005

Erstes Abenteuer - Kapitel IV

29 n. Hal - 13. Tag im Monat des Phex

Die beiden Mädchen hatten die letzten beiden Tage damit verbracht, durch die Geschäfte zu ziehen und nach Schmuck, Kleidern, Parfum, Schminke und ähnlichen Dingen zu bummeln. Für den Abend war ein Essen mit ihrer Familie geplant, daß Liselles Anwesenheit erforderte. Ihr zweitältester Bruder Lionel würde heute nicht anwesend sein, ebensowenig seine Frau Anaria. Zwar liebte sie ihre Brüder, doch sie fand Lionel fürchterlich steif und altmodisch und seine Erzählungen über den Orden der Rondra zum Einschlafen langweilig. Mit ihrem ältesten Bruder Heral dagegen verstand sie sich blendend. Er diente bei der Stadtgarde und war von den Frauen sehr umschwärmt. Schließlich würde er ja auch einmal der Erbe ihres Vaters sein. Doch er war mittlerweile auch verlobt, mit Neaira, einer Tochter aus gutem Haus.

Während sich Liselle für das Abendessen ankleidete, überbrachte die Magd ihr einen Brief ihres Freundes Brin Wuxfell. Sie hatte ihm geschrieben, ob er etwas über die Zwergin Andra wüßte.

Meine liebe Liselle,

mit dem Namen, den ihr mir nanntet, konnte ich leider nichts anfangen. Mir persönlich ist diese Zwergin nicht bekannt. Doch bei Nachforschungen bei meinen Vorgesetzten wurde mir klargemacht, daß ich besser nicht weiter nachforschen sollte. Es tut mir leid, wenn ich Euch nicht weiterhelfen konnte.

Ergebenst, Euer
Brin Wuxfell

"Aha," dachte sich Liselle. "Wer auch immer diese Zwergin sein mag, anscheinend zählt sie hochgestellte Persönlichkeiten zu ihren Freunden. Naja, wir werden sehen."
Sie legte den Brief auf ihren Nachttisch, überprüfte im Spiegel noch einmal den Sitz ihres Kleides und begab sich dann nach unten ins Speisezimmer.

Es wurde aufgetischt und Liselle stellte Zoe als Tochter einer Landgräfin aus Punin vor und verheimlichte ihm auch nicht, daß sie Zoe zu sich eingeladen hatte.
"Vater, du hast doch nichts dagegen, oder?" fragte sie und spielte ihren ganzen kindlichen Charme aus, eine Masche, von der sie wußte, daß sie bei ihrem Vater immer zog.
"Aber nein, mein Kind, warum sollte ich etwas dagegen haben, wenn du solch nette Gesellschaft gefunden hast," antwortete ihr Vater arglos und Liselle verkniff sich mit Mühe das Grinsen.
"Vater, da du doch zu den Leuten gehörst, denen man die Verantwortung für den großen Ball übertragen hat, könnte Zoe nicht mitkommen? Bitte?" fragte Liselle und setzte ihr gewinnenstes Lächeln auf.
"Aber natürlich, mein Liebes," erwiderte ihr Vater und Liselle zwinkerte Zoe zu.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie Heral Zoe bewundernde Blicke zuwarf. Sie trat ihm unter dem Tisch vors Schienbein, Heral zuckte zusammen und schaute sie mit einer Mischung aus Empörung und Schuldbewußtsein an. In diesem Augenblick betrat James das Zimmer, trat zu ihrem Vater und meldete ihm einen Boten.
"Ihr entschuldigt mich bitte für einen Augenblick, schon wieder etwas wegen diesem verflixten Ball," wandte sich ihr Vater an die am Tisch versammelten Personen, legte seine Serviette neben den Teller und verließ den Raum.
Auch Zoe entschuldigte sich kurz und Liselles Mutter verschwand in der Küche, um mit Maria zu sprechen. So fand sich Liselle also alleine mit Heral am Tisch sitzend wieder.
"Was sollte das denn?" verlangte Heral zu erfahren.
"Meinst du, ich hab die Blicke nicht gesehen, die du Zoe zuwirfst?"
"Welche Blicke?"
"Tu nicht so unschuldig, du weißt genau wovon ich rede. Du bist schließlich verlobt!"
"Und? Verlobt ist noch nicht verheiratet und gucken ist doch erlaubt?"
"Du bist unmöglich!"
"Ich weiß," sagte er und lächelte spitzbübisch. "Und was mußte ich von dir schon wieder hören?"
"Ich weiß nicht, wovon du redest ..."
"Dem kleinen Zwischenfall, bei dem du mal wieder die Garde hast rufen lassen."
"Ach so, das meinst du. Naja, der Kerl war einfach unmöglich!"
Ihr Bruder ließ sich natürlich die Gelegenheit nicht nehmen, sie kräftig damit aufzuziehen. Er kannte seine kleine Schwester schließlich. Da kam ihr Vater wieder zurück, entschuldigte sich damit, daß er doch noch viel zu tun hätte und wünschte ihnen noch einen schönen Abend. Wie Liselle von der Magd im Laufe des Tages erfahren hatte, war der Ball außerplanmäßig zwei Tage nach vorne verlegt wurden, was natürlich zusätzlichen Druck und Streß auslöste.

Nach dem Essen verabschiedete sich Liselle, sie wollte zu Patras. Ihr Bruder, der zu ahnen schien, daß sie den späten Abend mal wieder in der Gesellschaft von nicht wirklich gesellschaftsfähigen Menschen verbringen würde, grinste nur anzüglich. Sie entschuldigte sich bei Zoe und sprach mit ihr ab, am nächsten Abend, dem Abend vor dem Ball, ausgiebig mit ihr um die Häuser zu ziehen.